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Haltung des Vatikan zum Zionismus, Rom, 24. Mai 1922

Transkription


 

 

Deutsche Botschaft beim päpstlichen Stuhle.

Nr. 68.

Inhalt: betr. Kurie und Zionismus.

Auf Erlass II a Va 371 vom 15. v. Ms.

Wie ich Gelegenheit hatte festzustellen, hat der Kardinalstaatssekretär kein Vertrauen zu einer erfolgreichen Wirksamkeit der auf Grund des Artikel 14 des Palästinamandats zusammentretenden Kommission. Er ist der Ansicht, dass ihre Zusammensetzung aus Vertretern der verschiedenen Konfessionen keinerlei Gewähr für eine unparteiische Regelung der verschiedenen, die Kurie interessierenden Fragen, biete.

In dieser ablehnenden Haltung - zu deren Verständnis ich auch auf meine Berichte No. 65 vom 18. d. Ms. und No. 21 vom 7. Februar d. Js. verweisen darf - ist Kardinal Gasparri, wie mit Sicherheit anzunehmen ist, durch den Patriarchen von Jerusalem, Barlassina, bestärkt worden, der kürzlich sich einige Zeit hier aufgehalten hat. Einem Mitgliede der Botschaft gegenüber, das Gelegenheit hatte mit dem Patriarchen über die Palästinafrage zu sprechen, hat er sich recht ungünstig über den Zionismus geäußert, von dem kein Verständnis für die

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Interessen der katholischen Kirche zu erwarten sei. Diesem Gedanken hat er auch in einem stark besuchten Vortrage sehr deutlich Ausdruck gegeben. Er beklagte es darin, dass man in katholischen Kreisen noch so wenig über die gegenwärtigen Zustände in Palästina unterrichtet sei, zum großen Erstaunen der Araber, die es nicht verständen, dass nichts zur Verteidigung der heiligen Stätten geschehe. Dabei trete jetzt nach der bekannten Erklärung Balfours bei den Zionisten ganz offen das Bestreben zu Tage, nach und nach die gegenwärtigen Bewohner Palästinas zu entfernen, um sich so des ganzen Landes zu bemächtigen und das Reich Zion aufzurichten. Der Zionismus habe dem Lande bereits schwere Schädigungen zugefügt. Eine der schlimmsten sei die öffentliche Unsittlichkeit. Es gebe jetzt öffentliche Häuser, die unter der türkischen Herrschaft verboten gewesen seien und z.B. allein in Jerusalem 500 Dirnen. Auch lebten einige der neubegründeten Ansiedlungen nach kommunistischen Grundsätzen extremster Art, die er nicht näher erläutern wolle. Die Zionisten hätten es vorzüglich verstanden, auf reiche Mittel gestützt, die Notlage der Bevölkerung für ihre egoistischen Interessen auszubeuten. Ihr Hauptaugenmerk richteten sie auf Landerwerb, wobei sie sich nicht scheuten, Ausfuhrverbote für landwirtschaftliche Erzeugnisse zu erlassen, um auf diese Weise auf die Besitzer einen unwiderstehlichen wirtschaftlichen Druck auszuüben

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und sie so zum Verkauf ihrer Äcker zu zwingen. Bei den Behörden fänden die Eingeborenen keinen Schutz, da diese sämtlich in der Hand der Zionisten seien. Am besten würden noch die Schismatiker behandelt, da diese den zionistischen Machenschaften den geringsten Widerstand entgegensetzten. Dagegen seien die Katholiken der Gegenstand einer systematischen Opposition. Die Anwendung der katholischen Gesetze stieße bei der Beamtenschaft auf hartnäckigen Widerstand und selbst die Gerichte ließen sich von ihrer Voreingenommenheit gegen alles Katholische beeinflussen. Die Protestanten dagegen, die eine dem Zionismus günstige Haltung einnähmen, könnten ungestört eine großzügige Propaganda entfalten. Es sei unumgänglich notwendig, schloß der Vortragende, dass die Rechte der Katholiken, ihre Kirchen und Schulen wirksam geschützt und dass die Katholiken der ganzen Welt endlich darüber aufgeklärt würden, was heute in Palästina vor sich gehe.

Der Patriarch hat sich von hier nach London begeben, um bei der britischen Regierung seine Beschwerden vorzubringen. Auf seiner Rückreise will er auch Deutschland besuchen.



Info:

Archivsignatur: Haltung des Vatikan zum Zionismus, Rom, 24. Mai 1922, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, R72221.
Copyright: Verbreitung und Vervielfältigung nur zu wissenschaftlichen Zwecken.
Zitierweise: Haltung des Vatikan zum Zionismus, Rom, 24. Mai 1922, in: Viadrina Center B/Orders in Motion (Hrsg.): "Grenzen, Kriege und Kongresse. Die Neuordnung Ostmitteleuropas aus dem Erbe der Imperien, 1917-1923" - Ausgewählte Projektquellen, bearb. von Thomas Rettig. URL: https://www.borders-in-motion.de/de/forschungsprojekte/dreijaehrig/0_grenzen_kriege_kongresse/projektquellen/vatikan-zum-zionismus-rom-1922 (Zugriff am xx-xx-xxxx)