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Forschung

Tim Buchen: Die „Weiße Internationale"

Das von Dr. Tim Buchen bearbeitete Projekt untersucht den Einfluss der „Weißen Internationale" auf die Etablierung von staatlicher Herrschaft und politischer Ordnung in Ostmitteleuropa. Es versteht die Geschichte der Neuordnung als einen Prozess der Dekolonialisierung, in dem sich Angehörige der alten imperialen Eliten in internationaler Zusammenarbeit den Staatsgründungen in den ehemaligen Herrschaftsgebieten zu widersetzen versuchten. Die „weißen Internationale" war demnach eine politische und militärische Elite der untergegangenen Kaiserreiche, welche die imperiale Herrschaft über Ostmitteleuropa durch einen Umsturz zu restaurieren, das "System von Versailles" abzuschaffen versuchten und sich dabei als legitime Staatsmänner inszenierten. Die Wiederherstellung imperialer Herrschaft über Ostmitteleuropa wurde mit der Bekämpfung von Bolschewismus, Parlamentarismus und dem ‚Versailler System‘ gerechtfertigt als Wiederaufnahme des Krieges konzipiert. Neben der Rekonstruktion der Pläne und Vorstellungen der Akteure fragt das Projekt nach der Wahrnehmung und Instrumentalisierung dieser Kräfte seitens der neuen Nationalstaaten und ihrer Wirkung auf die Raumvorstellungen in Ostmitteleuropa. Als Quellen dienen Nachlässe und Erinnerungen von Angehörigen der weißen Internationale. Dokumente und suggestive Karten u.a. aus den National Archives, dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, dem Nationalarchiv Budapest, dem Auswärtigen Amt der Tschechoslowakischen Republik sowie international erschienenen Zeitungen.

Frank Grelka: Jüdische Politiker aus dem Russischen Reich in Polen und Litauen (1917-1923)

Dr. Frank Grelka beschäftigt sich in seinem Postdoc-Projekt mit der transnationalen Informationspolitik jüdischer Akteure in polnischen und litauischen Nationalstaaten, die aus dem ehemaligen Grenzgebiet des Russischen Reiches hervorgegangen sind. Die Gegenüberstellung von imperialen und nationalen Akteuren eröffnet dabei einen vorbehaltlosen Blick auf die politische Teilhabe jüdischer Akteure einerseits, die Machtstrategien der Konstrukteure neuer Nationalstaaten nach dem Ersten Weltkrieg andererseits. Im Kontext des Neuordnungsprozesses lotet Grelka die Konkurrenz jüdischer und nichtjüdischer Lobbyisten als Protagonisten räumlicher und rechtlicher Transformationsmechanismen in den vormaligen Jewish Borderlands Ostmitteleuropas aus. Aus einem rechtshistorischen Ansatz werden die Versuche von fünf jüdischen Akteuren, am staatlichen Prozess der Gesetzgebung für die rund drei Millionen osteuropäischer Juden in Polen und Litauen mitzuwirken, betrachtet. Dabei wird deutlich, wie jüdische Politiker mit der Jahrhunderte alte Tradition des sich-Verlassens auf staatliche Autorität und des Agierens hinter Bühnen brechen und von Bittsteller an Zentralmächte zu respektablen Partner der Aushandlung neuer Staatsformen in der Region avancieren. Methodisch knüpft dieses Projekt insofern u.a. an die Forschungen von Scott Ury und Joshua Shanes zur jüdischen Rolle bei der Herausbildung von Öffentlichkeit in den ausgehenden Großreichen an. Das Forschungsprojekt stützt sich auf Archivrecherchen in Berlin, Vilnius, London, Warschau und Jerusalem.

Klaus Richter: Nationalstaatlichkeit in Polen und im Baltikum (1916 – 1934)

Um die Eigenheiten der Nationalstaatlichkeit in Ostmitteleuropa und ihrer Verwurzelung im Ersten Weltkrieg geht es im Teilprojekt von Dr. Klaus Richter. Richter zeigt, wie die Zeit deutscher Herrschaft und die Russische Revolution die Idee von Bevölkerungsverschiebungen und räumlichen Ordnungen beeinflussten. Die Entstehung und die Konsolidierung der polnischen, litauischen, lettischen und estnischen Nationalstaaten werden im Projektverlauf im Kontext internationaler Diskurse über Nationalstaatlichkeit und die Lebensfähigkeit neuer Staaten, was unmittelbaren Einfluss auf die Außenpolitik und Handel mit diesen Staaten hatte, diskutiert. Auf der anderen Seite wird deutlich, dass neue Staaten ebenfalls diesen Diskurs politisch mitbestimmten, das Projekt verortet demnach die Bedeutung Ostmitteleuropas für die Zeit zwischen den Kriegen. Diese Verschiebung des diskursiven Schwerpunktes über die Lebensfähigkeit von Staaten von Fragen territorialer Expansion zu räumlicher Neuordnung und den Einfluss der Debatten über politische Projekte am Beispiel von Polen und den baltischen Staaten, analysiert in seinem Teilprojekt Richter. Dabei konzentriert er sich besonders auf die Netzwerke zwischen denjenigen, die an diesen Diskursen teilhaben. Unter ihnen Wissenschaftler (Geographen, Ökonomen und Philosophen) sowie wie Politiker, Journalisten und Geschäftsleute, die im Mittelpunkt stehen, da sie in einem zunehmend öffentlichen und internationalen Raum diese Konzepte popularisierten. Das Teilprojekt untersucht demnach, wer an der Debatte teil haben konnte, wie sich die Netzwerke veränderten, wie sich die Experten vis-à-vis einer sich verändernden geopolitischen Ordnung positionierten und wie alte Experten sich an ein geopolitisches Umfeld anpassten, das sich von Grund auf verändert hatte. Dazu werden in der Forschungsarbeit themenrelevante Quellen aus britischen, deutschen, estnischen, lettischen und litauischen Staatsarchiven gesichtet.