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Nachruf Sobernheim, Berlin, 6. Januar 1933

Transkription


 

Vossische Zeitung

Moritz Sobernheim

Zum Tode des Orientalisten

Von Professor C. H. Becker

Staatsminister a. D.

Mit Moritz Sobernheim ist ein Mann aus dem Leben geschieden, der, ohne ein offizielles Lehramt innezuhaben, im gelehrten Leben Berlins eine soziale Funktion erfüllte. Von ihr, nicht von seinem reichen und schönen Privatleben soll hier die Rede sein. Sein Haus bildete gemeinsam mit dem seiner ihm eng verbundenen Schwester Frau Dr. Georg Hahn seit Jahrzehnten den gesellschaftlichen Mittelpunkt der Berliner Orientalistik. In beiden Häusern herrschte nicht gesellschaftlicher Ehrgeiz, sondern der schlichte Geist des Dienstes an einer durch gleiche wissenschaftliche Interessen zusammengeführten Gesellschaft. Ererbter und erworbener Wohlstand fühlte sich hier verpflichtet, in vornehmster Weise meist unbemittelte geistige Arbeiter zu fördern und mit anderen Kreisen zu gegenseitig bereicherndem Gedankenaustausch zusammenzuführen. Die orientalistischen Interessen des Verstorbenen waren für die Pflege grade dieses Wissenschaftszweiges ausschlaggebend gewesen, aber der Kreis der hier Verkehrenden umfasste nicht nur die engeren Fachkollegen Sobernheims, sondern die breite Schicht der am alten, mittelalterlichen oder modernen Orient interessierten Personen. Hier fand der Stubengelehrte wie der Diplomat, die wissenschaftliche Größe wie der Anfänger die sonst nie gegebene Möglichkeit des Kontaktes. Was Institutionen meist nur unvollkommen erreichen, war hier dank lebendiger Initiative, Güte und Opfersinn privater Personen Wirklichkeit geworden. Moritz Sobernheim aber war Anlass und Seele dieses Kreises, und es ist die einfachste Pflicht der Dankbarkeit, an dem Grabe dieses zwar energischen und impulsiven, aber im Grunde bescheidenen Mannes auszusprechen, worin seine Kollegen Sinn und Wesen dieses allzu früh abgeschlossenen Lebens erblicken.

Aus einem großbürgerlichen Hause Berlins stammend -sein Stiefvater war Generalkonsul Landau - hatte Moritz Sobernheim schon als Student die damals unerhörte Gelegenheit, seine orientalistische Ausbildung im Orient selber zu vollenden. Einer Anregung seines Leipziger Lehrers Socin folgend, beschäftigte er sich als einer der ersten unter der lebenden Orientalistengeneration mit arabischer Dialektologie. In Kairo hatte damals Osman Galal Molièresche Komödien ins Modernarabische übersetzt. Ihrem Studium galt Sobernheims Dissertation. Das Linguistisch-Philologische lag ihm aber auf die Dauer nicht so sehr; dafür entdeckte er früh in sich Hang und Begabung für Epigraphik. Das Schwergewicht seiner wissenschaftlichen Leistung lag denn auch auf dem Gebiet der arabischen Inschriftenkunde, namentlich der Mamelukenzeit. Ihn interessierten die Monumente mehr als die Bücher, die Kunst der Entzifferung mehr als die historische Bewertung, obwohl er namentlich in seinen letzten Jahren auch zu historischen Darstellungen, besonders in der Enzyklopädie des Islam, fortgeschritten ist. Sein Lehrmeister auf epigraphischem Gebiet war der unvergessliche Schweizer Forscher Max v. Berchem, einer seiner treuesten und sachverständigsten Helfer und Mitarbeiter Ernst Herzfeld. Auf zahlreichen Orientreisen nach Ägypten, dem Sudan, nach Palästina und Syrien sammelte er ein reiches Material das er später in zahlreichen Veröffentlichungen publizierte. So danken wir ihm die Inschriften von Tripolis in Syrien, von Aleppo, von Damaskus (Zitadelle) und Baalbek, von kleineren Publikationen zu schweigen. Der Krieg und der Tod von Berchems verhinderten

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weitere Pläne internationaler Zusammenarbeit. Ein einzelner konnte diese riesige Arbeit nicht vollenden, aber seine Leistung wird immer mit Ehren genannt werden.

In all diesen Jahren hatte er das in Deutschland ungewöhnliche Leben eines Privatgelehrten geführt. Wohl war er schon Mitglied der deutschen Baalbek-Expedition gewesen, aber erst der Krieg brachte ihn in engere Berührung mit der staatlichen Verwaltung. Als mit der Balfour-Deklaration das Judenproblem zu einer offiziellen Frage der auswärtigen Politik geworden war, wurde auch in unserem Auswärtigen Amt ein Referat geschaffen, das die hier liegenden Probleme dauernd beobachten sollte. Auf dieses Referat wurde Sobernheim im Jahre 18 (nicht erst in der Rathenau-Zeit) berufen, da man hier einen Sachkenner des Orients und der europäisch-amerikanischen Judenschaft brauchte, der zugleich ein Mann von Welt war. Damit wurde aus dem freien Gelehrten ein Beamter des Auswärtigen Amts, der Legationsrat-Prosessor hat aber beide Aufgaben miteinander zu verbinden gewusst. Er war ein durch und durch deutsch und national fühlender Mann, aber er besaß die Weite und das Verstehen für die Mannigfaltigkeit der Probleme innerhalb der heutigen deutschen wie außerdeutschen Judenschaft und konnte vermitteln und versöhnen. So stand er hier am richtigen Platz. Daneben aber wirkte er als Präsident der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums und Sekretär der Vorderasiatisch-Ägyptischen Gesellschaft.

Sobernheim war nicht im engeren Sinn politisch interessiert, er hatte auch nichts vom asketischen Gelehrtentyp, er war kein Eiferer und kein Rechthaber, aber er war von einer wahren Leidenschaft zum Helfen erfüllt und stellte gern seine ungewöhnliche Energie in den Dienst einer als gut und sinnvoll erkannten Sache. Vor 35 Jahren bin ich ihm als Student in einem Kolleg des Altmeisters Eberhard Schrader zum erstenmal begegnet, später hat er als älterer Kollege mir in Ägypten die Wege geebnet, und wenn unsere Art und Arbeit auch sehr verschieden waren, wir uns auch manchmal in fördernder Kritik gegenüberstanden, immer habe ich die tiefe Loyalität und Treue, die Sachlichkeit und die einzigartige Hilfsbereitschaft dieses Mannes dankbar anerkannt. Dies Leben hatte Sinn und Wert.

 



Info:

Archivsignatur: Nachruf Sobernheim, Berlin, 6. Januar 1933, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Sobernheim.
Copyright: Verbreitung und Vervielfältigung nur zu wissenschaftlichen Zwecken.
Zitierweise: Nachruf Sobernheim, Berlin, 6. Januar 1933, in: Viadrina Center B/Orders in Motion (Hrsg.): "Grenzen, Kriege und Kongresse. Die Neuordnung Ostmitteleuropas aus dem Erbe der Imperien, 1917-1923" - Ausgewählte Projektquellen, bearb. von Thomas Rettig. URL: https://www.borders-in-motion.de/de/forschungsprojekte/dreijaehrig/0_grenzen_kriege_kongresse/projektquellen/nachruf-sobernheim-1933 (Zugriff am xx-xx-xxxx)