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Königsberger Hartungsche Zeitung, Königsberg, 6. Oktober 1919

Transkription


 

Nr. 468. Abendausgabe. Erstes Blatt.

Königsberger Hartungsche Zeitung

Zur Räumung des Baltenlandes - Missglückte Moskauer Umschwungpläne — Ende des englischen Eisenbahnerstreiks - Damaschke als Anwärter für das Reichspräsidium - Naumann-Trauerfeier ln Berlin - Schlichtung des Königsberger Ausstandes Union-Steinfurt?

Der Eintritt der Demokraten in die Regierung

Von Freiherrn v. Richthofen, Mitglied der Nationalversammlung und d. Preuß. Landesversamml.

(Nachdruck verboten.)

Morgen wird Reichskanzler Bauer in der Nationalversammlung über die innere und äußere Politik des Deutschen Reiches sprechen. Er wird hierbei Gelegenheit nehmen, sein neues Kabinett dem Parlament vorzustellen und die Gründe darzulegen, die für einen Wiedereintritt der Deutschen demokratischen Partei in die Reichsregierung bestimmend gewesen sind. Die Männer, die zu neuen Mitgliedern im Reichsministerium ernannt worden sind, haben in der Partei und über sie hinaus einen guten Namen. Der neue Reichsjustizminister Schiffer, der zu gleicher Zeit das Amt des Stellvertreters des Reichskanzlers innehat, gilt mit Recht als ein vorzüglicher Jurist. Aus seinen reichen Erfahrungen heraus wird er gewiss die große Aufgabe zu bewältigen vermögen, die ihm in der bevorstehenden Reform unserer gesamten Straf- und Zivilgesetze erwächst. Eine Aufgabe, die die notwendige Ergänzung zu dem Werke der Weimarer Verfassung bildet, und deren Inangriffnahme längeren Aufschub nicht mehr duldet. Auch mit dem bisherigen Oberbürgermeister von Kassel, Koch, zieht ein Sachverständiger ersten Ranges in das Reichsministerium des Innern ein. Und die demokratische Partei hat aus diese Weise deutlich gezeigt, wie ernst es ihr mit der Erfüllung der Forderung ist, dass im parlamentarischen Staate die politisch bedeutungsvollen Ämter wohl unter Berücksichtigung der parteipolitischen Anschauungen besetzt werden sollen, dass aber nach wie vor eine wirkliche Sachkunde die Voraussetzung für jede Ernennung sein muss.

Außer den Ministerien der Justiz und des Innern wird noch ein Mitglied der demokratischen Partei an die Spitze des neuen Ministeriums für die wirtschaftliche Durchführung des Friedens berufen werden. Über die Notwendigkeit dieses neuen Ministeriums werden die Meinungen zweifellos auseinandergehen. Dass für die Entschädigung der Ausland- und Kolonialdeutschen eine oberste Instanz geschaffen wird, ist an sich gewiss in hohem Maße wünschenswert. Die Verhältnisse liegen hier außerordentlich schwierig und für die durch den Ausgang des Krieges so schwer in Mitleidenschaft gezogenen berufenen Pioniere des Deutschtums im Auslande war bisher nur in völlig unzureichender Weise gesorgt. Der neue Minister steht hier gewiss vor einer dankbaren Aufgabe. Das Gleiche gilt von der Wiederherstellung der deutschen Handelsflotte, die uns durch die Bedingungen des Waffenstillstandes und Friedens brutal entrissen worden ist. Der Wiederaufbau der durch kriegerische Maßnahmen zerstörten fremden Gebiete ist aber eigentlich eine Angelegenheit der auswärtigen Politik. Denn das Deutsche Reich hat das lebhafteste Interesse daran, streng darauf zu halten, dass alles, was mit der Durchführung des Friedensvertrages zu tun hat und nur durch andauernde unmittelbare Verhandlungen mit den früher feindlichen Regierungen zu regeln ist, deutlichst in den Bereich der auswärtigen Politik verwiesen bleibt. In dem Friedensvertrag liegt eine so große Gefahr für die Aufrechterhaltung der Souveränität des deutschen Staates, dass wir jede Möglichkeit einer Einmischung des Auslandes in unsere inneren Verhältnisse soweit wie möglich ausschalten müssen. Das neu zu bildende Ministerium wird daher praktisch einen Teil derjenigen Geschäfte zu erledigen haben, die an sich dem Ministerium des Auswärtigen zukommen müssten, und es wird daher nur im engsten Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt geleitet werden können. Der außerordentliche Umfang der von dem Ministerium des Auswärtigen zu bearbeitenden Angelegenheiten rechtfertigt aber vielleicht diese Trennung. Da bisher noch nicht mit Sicherheit feststeht, welches Verfahren die französische Regierung bei dem Wiederaufbau einzuschlagen gedenkt, so lässt sich auch über die eigentliche Tätigkeit des neuen Ministeriums noch nichts Bestimmtes sagen. Es ist möglich, dass ihm die gewaltige Aufgabe zufällt, die Massen deutscher Arbeiter, die die Wiederherstellungsarbeiten zu leisten haben, anzustellen, zu überwachen und im fremden Lande zu schützen; es ist aber auch denkbar, dass seine Leistungen auf Materialbeschaffungen und sonstige Vergebungen an die deutsche Industrie beschränkt bleiben.

Der Eintritt der Demokraten in die Reichsregierung war eine nationale und damit politische Notwendigkeit. Die Lage unseres Vaterlandes erfordert eine Konzentration zum mindesten aller der Kräfte, die an der Schaffung des neuen deutschen Staates mitgearbeitet haben und ihn nach innen wie außen zu verteidigen bereit und damit zu vertreten befugt sind. Als die Deutsche demokratische Partei aus der Regierung ausschied, waren es keine Fragen programmatischer Bedeutung, die hierzu die Veranlassung boten. Die Mehrheit der Deutschen demokratischen Fraktion konnte sich zur Unterzeichnung des Friedensvertrages nicht verstehen und glaubte hieraus auch die parlamentarischen Konsequenzen ziehen zu müssen. Es kann dahingestellt bleiben, ob dies überhaupt notwendig war und ob man nicht mit Rücksicht auf die beispiellose Besonderheit der Friedensfrage hierauf hätte Verzicht leisten können. (Die große Mehrheit der demokratischen Partei war zum Unterschied vom Verfasser gegen diesen Friedensvertag. D. Schriftl.) Seit dem Austritt der Demokraten krankte dann unsere ganze innerpolitische Lage an einer gewissen Unwahrhaftigkeit. Denn die große demokratische Partei, die ihren politischen Grundanschauungen gemäß in erster Linie mit dazu berufen war, nicht nur an der Verfassung des neuen Deutschen Reiches, sondern an seiner weiteren inneren Ausgestaltung mitzuarbeiten, stand beiseite, ohne gleichzeitig eine oppositionelle Stellung einnehmen zu können. Und von den Parteien der rechten und linken Opposition war sie mindestens ebensoweit getrennt wie die beiden offiziellen Regierungsparteien. Diesem unnatürlichen Zustand ist jetzt durch den Wiedereintritt der Demokraten in die Regierung erfreulicherweise ein Ende bereitet worden. Es steht zu hoffen, dass auch weit darüber hinaus die neue, wieder aus drei Parteien bestehende Reichsregierung der bisherigen Regierung der Sozialdemokratie und des Zentrums an innerer Festigkeit und damit an Energie und Entschlussfähigkeit überlegen sein wird. Denn hiervon hängt die Zukunft unseres Vaterlandes ab.

Die deutschen Demokraten sind sich vor ihrem Eintritt in die Regierung sicherlich sehr klar darüber gewesen, dass auf den verschiedensten Gebieten Maßregeln von einscheidender Bedeutung ergriffen werden müssten. DerReichskanzler Bauer wird in seiner Rede gewiss, ohne Widerspruch zu begegnen, feststellen können, dass er an seinem in Weimar dargelegten Regierungsprogramm Änderungen grundlegender Art nicht vorzunehmen brauche. Auf der anderen Seite steht aber fest, dass wenn wir innerpolitisch den kommenden Winter bestehen wollen, mit größerer Voraussicht und festerer Hand regiert werden muss, als dies in letzter Zeit der Fall war. Ununterbrochen wird dem deutschen Volke gepredigt, dass allein angestrengteste Arbeit es zu retten vermag. Diese Arbeitsleistung kann aber nur gesichert werden, wenn der Streitsucht ein Damm gezogen wird, und wenn die unterstützungsbedürftigen Arbeitslosen scharf von solchen Elementen geschieden werden, die tatsächlich keinen Arbeitswillen besitzen. Und für Industrie und Handel muss durch eine Einschränkung der Zwangswirtschaft auf das notwendigste Maß die Bewegungsfreiheit wieder geschaffen werden, ohne die sie sich zu neuer Blüte unmöglich entfalten können. Auch wird nur auf diese Weise die Möglichkeit bestehen, der immer mehr um sich greifenden Korruption und dem Schiebertum wirksam entgegenzutreten. Nimmt man hierzu noch die großen Aufgaben, die in der Steuer- und Sozialpolitik zu lösen sind, so wird man den Entschluss der deutschen Demokraten, nunmehr wieder an entscheidendster Stelle zu tätiger Mitarbeit überzugehen, begrüßen müssen.

Die schwersten Gefahren aber drohen dem Deutschen Reiche nicht aus der inneren Entwicklung. Die Haltung, die einzelne Entente-Staaten noch heute gegen uns einnehmen, ist vielmehr eine so bedrohliche, dass wir nicht wissen können, vor welchen Ereignissen und Entschlüssen wir binnen kurzem stehen werden. Durch den Abschluss des Friedens ist zunächst die Einheit des Reiches gerettet und der Wille unserer Gegner, den deutschen Staat in Atome aufzulösen, zunichtegemacht. Wir haben ihn aber damit noch nicht aus der Welt geschafft. Und die so überaus traurige Schwäche unserer internationalen Stellung zwingt uns zu gespanntester Aufmerksamkeit und andauernder Vorsorge. Der Ausgang des Krieges hat Deutschlands Zukunft von seinem Verhältnis zu den verschiedenen Staaten des Auslandes abhängig gemacht. Das kann uns gewiss zu einer vollen Wiederaufrichtung führen. Aber unmittelbar neben dieser hoffnungsvollen Möglichkeit steht die Gefahr des Unterganges. Von der auswärtigen Politik, die wir in der nächsten Zeit führen, und von der Vertretung, die sie im Auslande finden wird, hängt Deutschlands Schicksal ab. Ein Staat, der sich in solcher Not befindet, braucht die Kräfte Aller, die ihm uneigennützig und aus innerster politischer Überzeugung zu dienen bereit sind. Damit aber war für die Deutsche demokratische Partei die Richtschnur gegeben. (Man kann diesen Anschauungen Richthofens destomehr beipflichten, je weniger sie von seinen persönlichen Wünschen beeinflusst sind, da ihm ja auch bei der neuen Regierungszusammensetzung die Leitung desAuswärtigen Amts nicht zugefallen ist. D. Schriftl.)

Ein offizieller Bericht über die baltische Lage

Über die Lage im Baltikum versendet die Pressestelle beim Generalkommando des 4. A.-K. nachstehenden Bericht, der für den bisherigen Verbleib der deutschen Truppen im Baltikum den Kampf gegen den Bolschewismus geltend macht, aber hinter dem Befehl zur Räumung nunmehr zurückzustehen hat:

Dem Wunsche der deutschen Regierung entsprechend ist das Generalkommando des 4. A.-K. seit Monaten bemüht, die Räumung Kurlands und Litauens durch deutsche Truppen loyal durchzuführen. Ein Hindernis erwuchs dieser Aufgabe, als Graf von der Goltz am 24. August bei seiner Rückkehr aus Berlin vor die vollendete Tatsache eines Beschlusses der Truppen gestellt wurde, der dahin lautete, sich dem Räumungsbefehl zu widersetzen und in Kurlandund Litauen zu bleiben. Die Truppen bestanden einerseits aus materiellen Gründen auf dem Versprechen, in Kurland siedeln zu dürfen, das ihnen die lettische Regierung gegeben hatte. Ausschlaggebend für den Beschluss der Truppe ist aber wohl die ideale Triebfeder gewesen, das Gefühl der Truppe, verpflichtet zu sein, auf dem kurländisch-litauischen Posten gegen den Bolschewismus auszuharren. Die Truppe, die monatelang im Kampfe gegen den Bolschewismus gestanden hat, weiß, wie schwer bedroht die Ostmark des Deutschen Reiches immer noch durch den Bolschewismus ist, und sie weigert sich daher Kurland und Litauen zu verlassen, solange diese Bedrohung der Heimat weiter besteht. Dem neuerlichen Befehl zur Räumung, die nun endgültig durchgeführt werden sollte, haben sich im Laufe der letzten Tage neue Hindernisse in den Weg gestellt. Erstens einmal handelt es sich um die ernste Bedrohung des deutschen Rückzuges durch Letten und Esten. Die jungen Armeen der Randstaaten haben offenbar ein Auge auf das deutsche Heeresgut geworfen und beschlossen, dieses Heeresgut zu erbeuten. Die Letten haben zu diesem Zweck gegenüber der deutschen Demarkationslinie starke Truppen zusammengezogen und mit zwei Divisionen sind ihnen die Esten zu Hilfe geeilt. Diese Bedrohung wird dadurch verschärft, dass die Randstaaten Lettlandund Estland kurz vor dem Friedenschluss mit Sowjetrussland stehen. In Dorpat ist am 30. September zwischen den Vertretern der Randstaaten und Sowjetrussland ein Vorfriede so gut wie abgeschlossen worden. Aus diesen beiden Gründen kann der Rückzug nicht planmäßig vor sich gehen. Trotzdem ist das Generalkommando bemüht, mit der Räumung Ernst zu machen. Zu diesem Behufe haben russische Truppen des Freikorps des Obersten Bermondt bereits Teile der deutschen Demarkationslinie besetzt. Dadurch sind deutsche Truppen freigeworden, die zum Abmarsch bereitgestellt werden können. Ob dieser Abmarsch schon bald wird vor sich gehen können, ist freilich fraglich, denn ein Angriff der Esten und Letten auf die deutsch-russische Demarkationslinie scheint unmittelbar bevorzustehen. Von Seiten des Generalkommandos ist nichts unversucht gelassen worden, diesen Angriff unmöglich zu machen. Es ist zu diesem Zweck die assoziierte Militärmission in Riga darum ersucht worden, auf Letten und Esten dahin einzuwirken, dass sie ihre Truppen über die Düna zurückziehen, um jeglichen Zusammenstoß unmöglich zu machen. Bis zur Stunde hat die Entente diesem Wunsche leider nicht entsprochen, und die Spannung ist infolgedessen nicht gelöst.

Auch die Russen, gegen die die Esten und Letten eine drohende Haltung einnahmen, haben den Wunsch, nur gegen die Bolschewiki zu kämpfen. Eine diesbezügliche Erklärung haben die Russen der lettischen Regierung zugehen lassen, aber ob sie verstanden worden sind, ist eine Frage. Die Hindernisse, die Letten und Esten unter englischem Protektorat den Russen in den Weg legen, sind um so schwerwiegender, als eine militärische Aktion der in Kurlandstehenden russischen antibolschewistischen Formationen gerade im gegenwärtigen Augenblick die größte Aussicht auf Erfolg hätte. Denikin steht nur noch 300 Kilometer von Moskau entfernt und es ist wahrscheinlich, dass er das Herz Russlands noch in diesem Herbste erreichen kann. Auch Admiral Koltschak hat neuerdings Erfolge auf dem linken Flügel zu verzeichnen gehabt. Der strategische Plan Denikins ist dahin angelegt, die Masse der Roten Armeen nach Nordwesten und Westen abzudrängen. Dort sollte sie von der vor Petersburg stehenden Armee des Generals Judenitsch und von der in Kurland und Litauen aufmarschierenden Armee des Obersten Bermondt gepackt und vernichtet werden. Dieser Plan wird sich aber nicht verwirklichen lassen, solange die Entente die Bewegungsfreiheit Bermondts durch Vermittlung der Letten und Esten hemmt. Dagegen dürften die roten Horden über Lettland undLitauen hinaus nach Deutschland hineinfluten und damit den Westen Europas schwer gefährden. All diesen drohenden Aussichten leisten England, leisten die Esten und Letten ebenso Vorschub wie diejenigen,die damit einen natürlichen Schutzwall Deutschlands vernichten, dass sie die Truppen des 6. R.-K. in die Heimat zurückrufen. Man scheint sich in Deutschland der kolossalen aus dem Osten drohenden Gefahren eben immer noch nicht bewusst zu sein. Schwer bedroht sind zur Stunde insbesondere die deutschen Truppen in Kurland und Litauen, denn im Augenblick, da sie diese Gebiete räumen, türmt sich hinter ihnen eine bedrohliche Gewitterwolke empor: Letten und Esten, durch das Instrument des Dorpater Friedens mit den Bolschewiki vereinigt, drohen ihren Rückzug zu verwirren. Ziehen die deutschen Truppen endgültig aus Kurland und Litauen ab, so bleibt nur die Truppe des Obersten Bermondtals Schutzwall gegen die rote Flut im Osten zurück. Darauf sollte man sich in Deutschland besinnen, statt, wie es, um nur ein Beispiel zu nehmen, in Tilsit geschehen ist, die deutschen Soldaten, die die Heimat vor der roten Gefahr geschützt haben, zu verdächtigen und mit Schmutz zu bewerfen.

WTB. Berlin 6. Oktober. Dass die Räumung des Baltikums durch die deutschen Truppen nunmehr ohne Verzug durchgeführt werden soll, dafür bietet, wie der "Lokalanzeiger" schreibt, schon die Ernennung des energischen Generals von Eberhard zum militärischen Liquidator des umfangreichen Unternehmens Gewähr. Zu hoffen wäre, meint das Blatt, dass der örtlichen Zivilbevölkerung, die sich vor der Wiederholung der bolschewistischen Schreckenszeit des vergangenen Winters fürchtet und sich in Sicherheit bringen will, Gelegenheit geboten wird, das Land rechtzeitig zu verlassen. (Außerdem aber hat der Zielverband nunmehr die ernste moralische Pflicht, die Ordnung im Baltenlandezu sichern. D. Schriftl.)

Misslungene Verschwörung in Moskau

Stockholm4. Oktober. Über Finnland wird gemeldet: Eine kürzlich in Moskau aufgedeckte Verschwörung gegen die Räteregierung verdient Beachtung: erstens, weil an dieser Verschwörung namhafte Führer der Kadetten undOktobristen teilgenommen haben; zweitens aber, weil diese Leiter des sogenannten nationalen Zentrums es wahrscheinlich verstanden haben, nunmehr auch wesentliche Teile der Bolschewisten zu sich herüberzuziehen. Unter den verhafteten Verschwörern befinden sich neben den Oktobristen Obolenski und Stromberg die Kadettenführer AstrowSchtschepkinWolkow, wohingegen Miljukow und Winawer sich gegenwärtig außerhalb der Grenze Russlandsaufhalten. Die Meldung, dass die verhafteten Kadettenführer bereits hingerichtet worden sind, scheint sich nicht zu bestätigen. ObolenskiAstrow und Schtschepkin saßen beim Abgang dieser Meldung jedenfalls noch im Moskauer Laganka-Gefängnis [gemeint ist Lubjanka]. In die Hände der Räteregierung geriet bei der Verhaftung die ausgebreitete Korrespondenz zwischen den Verhafteten und Denikin, aus der hervorging, dass für die ersten Oktobertage die Überrumpelung des Kreml und die Gefangennahme sämtlicher in Moskau befindlichen Regierungsmitglieder geplant war.

Man dachte hierbei an den 2. Oktober, wo die meisten Volkskommissare mit Lenin und Trotzki an der Spitze in einer Volksversammlung im Moskauer Großen Theater Bericht über die politische und militärische Lage erstatten wollten. 3000 von den Verschwörern Angeworbene sollten das Theater umzingeln, sich der Regierungsmitglieder bemächtigen, und eine zunächst aus Demokraten und menschewistischen Sozialisten bestehende provisorische Regierung proklamieren. Die von Denikin heimlich nach Moskau gekommenen und nunmehr ebenfalls verhafteten Führer Muchin und Kusnjetzow sollten gleichzeitig erklären, dass Denikin seine Armee der neuen Regierung zur Verfügung stelle. Man hatte gehofft, dass namentlich die Moskauer Arbeiterschaft, die durch ihren jüngsten politischen Streik ihre Abneigung gegen den Bolschewismus kundgegeben hatte, sich nicht gegen eine vollendete Tatsache auflehnen würde. Die in Moskau liegend, hauptsächlich aus Letten und Chinesen bestehende 2. Rote Division glaubte man, würde nach erfolgter Verhaftung sämtlicher Häupter des Bolschewismus sich ebenfalls mit dem plötzlichen Regierungswechsel befreunden und auf eigene Sicherheit bedacht sein. Es soll besonders betont werden, dass der geplante und nunmehr misslungene Putsch ohne Wissen und Mitwirkung des überreaktionären sogenannten Pariser Russenkomitees (SafonowGutschowMaklakow) gedacht war, was schon daraus hervorgeht, dass die neue Regierung eine ausgesprochen demokratisch-sozialistische sein sollte.("Voss. Ztg.")

Rücktritt des türkischen Kabinetts

WTB. Berlin5. Oktober. Nach Meldungen aus Konstantinopel nahm der Sultan die Demission des Großwesir Damad Zefid Pascha an. Das gesamte Ministerium tritt zurück. Es ist bis jetzt noch nicht bestimmt, wer das neue Kabinett bildet.

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Litauer gegen Polen

Aus Kowno wird dem "Litauischen Pressebüro" mitgeteilt: Die Bewohner in den von den Polen besetzten Gebieten Litauens erkennen, dass das polnische Regime die Wiederkehr der Herrschaft der Großgrundbesitzer und der Volksunterjochung bedeutet. Die Polen sehen deshalb ein, dass sie nicht mehr lange imstande sein werden, die litauischen Gebiete besetzt zu halten, und führen darum den Bauern das Getreide und andere Materialien weg. Im Gebiete des früheren Gouvernements Suwalki, wo sich mehrere tausend Bauern zur litauischen Freiwilligenarmee meldeten, kam es zu Erhebungen gegen die polnischen Gebrüder.

Nach einer telephonischen Mitteilung aus Kowno vom 2. Oktober ereignete sich in Schaulen ein bedauerlicher Vorfall. Dort stehende deutsche Soldaten sollen das litauische Gymnasium angegriffen haben, wobei der Gymnasialdirektor und einige Lehrer und Schüler getötet wurden. Eine Untersuchung darüber ist im Gange. (Dann wird sich auch zeigen, ob das selbstverständlich nicht unparteiische "Litauische Pressebüro" berechtiget war, das Gerücht, das einen Vorwurf gegen die deutschen Soldaten erhebt, in dieser Form weiterzuverbreiten. D. Schriftl.)

Trostloses aus Polen

(Eigne Drahtung der "Hartungschen Zeitung".)

B. D. Rotterdam6. Oktober"Times" melden aus Warschau, dass die politische und wirtschaftliche Lage in Polen trostlos ist. Der Landwirtschaftsminister und der Lebensmittelminister sind zurückgetreten, weil sie die Schwierigkeiten nicht zu überwinden vermögen. Seit dem Juli sind keine Lebensmittelsendungen aus Amerika mehr eingetroffen. Das Getreide der diesjährigen Ernte wird von Händlern mit den höchsten Gewinnen verkauft und gleichzeitig ist die kommunistische Propaganda unter den Arbeitslosen und den Industriearbeitern, sogar in der Armee im Gange. Das schlimmste Zeichen ist, dass die mächtige sozialistische Partei jetzt gemeinsam mit den extremsten Kommunisten zusammengeht.

("L.-R.")

Eine russische Westregierung

(Eigne Drahtung der "Hartungschen Zeitung".)

B.D. Berlin6. Oktober. Nach Nachrichten aus Mitau ist eine russische Westregierung gebildet worden. Die Namen der Minister sind noch nicht bekannt. Zum Gouverneur für die lettischen Provinzen ist Oberst Schneidemann ernannt worden. Er soll die deutschen Truppen im Einverständnis mit der deutschen Regierung aus Kurland entfernen. Das Programm der Regierung ist eine baldige Einberufung der Nationalversammlung, um nach dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung die Regierungsform festzustellen, und Bekämpfung der Minderheiten, die der Einsetzung einer Nationalversammlung widerstreben, in erster Reihe also der Bolschewisten. Die Regierung ist entschlossen, sich von diesem Programm weder von Deutschland, noch von der Entente abbringen zu lassen. (Deutschland gegenüber ist eine besondere Entschlossenheit der Westrussischen Regierung in diesem Punkte gar nicht nötig; wir sind zufrieden, wenn sich die russische Frage möglichst rasch vernünftig ordnet, und wenn wir von der Bolschewistengefahr befreit werden. D. Schriftl.)

Die Friedensverhandlungen der Randstaaten

(Eigne Drahtung der "Hartungschen Zeitung".)

B. D. Helsingfors6. Oktober. Über die Friedensfrage wird von finnischer Seite amtlich mitgeteilt, dass die baltischen Staaten vorläufig Verhandlungen mit Russland nach dem 25. Oktober beginnen wollen. Finnland wird seinen endgültigen Standpunkt erst nach Befragung des Reichstags erklären, der zum 25. Oktober einberufen wird. Die finnischen Abgeordneten haben in Dorpat die Meinung vertreten, dass die Friedensverhandlungen auf eine breitere Grundlage gestellt werden müssen. Außer der Beteiligung der Polen ist auch eine Beteiligung der Ententemächte erforderlich, deren Haltung für das Friedensproblem ausschlaggebend sei. Die Waffenstillstandsfrage sei für Finnlandbedeutungslos, weil an der Ostgrenze faktisch Waffenruhe herrscht. ("Deutsche Allgemeine Zeitung".)

WTB. Versailles5. Oktober. Nach dem "Temps" veröffentlichte Tschitscherin einen scharfen Protest gegen jede Entscheidung über die Aalandsinseln ohne vorherige Übereinkunft mit Russland.

Ende des englischen Eisenbahnerstreiks

WTB. London 5. Oktober. (Amtlich.) Der Eisenbahnerstreik ist beigelegt.

WTB. London5. Oktober. Es verlautet, dass die Bedingungen, unter denen eine Einigung erzielt wurde, in einer für heute abend stattfindenden Massenversammlung der Eisenbahner bekanntgegeben werden. Die Arbeiter erhielten Anweisungen, die Arbeit sofort wieder aufzunehmen.

WTB. Berlin6. Oktober. Zur Meldung über die Beilegung des englischen Eisenbahnerstreiks sagt der "Vorwärts", es ist bis jetzt nicht erkenntlich, ob und inwieweit es der englischen Eisenbahnerschaft gelungen ist, ihre Forderungen durchzusetzen. Wenn man aber bedenkt, dass die englische Regierung von Tag zu Tag mehr Freiwillige heranziehen konnte, sodass die Aufnahme des Zugverkehrs in immer größerem Umfange erfolgte, so darf man kaum annehmen, dass es der Arbeiterschaft gelungen sei, wesentliche Vorteile in ihrem Kampf gegen die kapitalistische Regierung zu erreichen.

Unzufriedne Koblenzer amerikanische Truppen

B. D. Frankfurt a. M.6. Oktober. Am 2. Oktober wurde von den amerikanischen Behörden in Koblenz ein Generalalarm verkündet. Sämtliche Einwohner mussten sich laut vorheriger Anweisung sofort von der Straße entfernen. Die Straßenbahnwagen und die anderen Wagen mussten an Ort und Stelle halten. Von den amerikanischen Behörden war wohl mit Absicht das Gerücht ausgesprengt worden, es fei ein spartakistischer Putsch zu erwarten. Tatsächlich wurden größere Meutereien unter den amerikanischen Truppen befürchtet, denen in letzter Zeit der Sold nicht unerheblich herabgesetzt wurde. In verschiedenen Kasernen in Koblenz ist es aus diesem Grunde in den letzten Tagen zu offenen Auflehnungen der Soldaten gekommen. ("Deutsche Allgemeine Zeitung".)

Kammerneuwahlen in Frankreich

Versailles4. Oktober. Wie der "Matin" meldet, wird Clemenceau in der Kammer beantragen, diese am 30. November aufzulösen. Neuwahlen werden am 9. November stattfinden.

Vom Völkerbund und vom Frieden

Versailles4. Oktober. Im Anschluss an den Antrag Renaudel-Albert Thomas, der eine baldige Zusammenkunft des Völkerbundes verlangt, veröffentlicht Clemenceau einen Brief, den er am 4. September an Oberst House gerichtet hat und in dem er ersucht, die erste Sitzung des Völkerbundes schon im November abzuhalten.

Die Ratifizierung des Friedens

Versailles4. Oktober. Dem Senat ging gestern der Friedensvertrag zur Ratifizierung zu. Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten trat sofort zusammen und bestimmte. dass die Verhandlungen am 9.Oktober beginnen. Die Abstimmung dürfte am kommenden Sonnabend erfolgen.

Das blockierte Fiume

Bern4. Oktober. Die Verschärfung der Blockade macht sich in Fiume immer mehr bemerkbar. Das italienische Rote Kreuz versucht, für die Kinder und Gebrechlichen Lebensmittel nach Fiume einzuführen. Italienfeindliche Kundgebungen werden aus Trau und Spalato sowie aus Albanien gemeldet.

Verhandlungen mit d'Annunzio

(Eigne Drahtung der "Hartungschen Zeitung".)

B.D. Lugano6. Oktober. Der Herzog von Aosta, der vom König mit einem Auftrag für d'Annunzio betraut worden war, ist gestern nach Rom zurückgekehrt, nachdem er und General Granzioli eine Zusammenkunft in Abbazia mit einem Vertreter d'Annunzios gehabt hatten. Er sollte d'Annunzio die Aufforderung überbringen, sich auf die Besetzung Fiumes zu beschränken, keine Freiwilligen mehr anzunehmen und im übrigen den Abschluss der VerhandlungenItaliens mit den Alliierten abzuwarten. Gestern mittag hatte der Herzog eine längere Unterredung mit Ritti. ("L.A.")

Innenpolitik
Eine Trauerfeier für Friedrich Naumann

(Eigne Drahtung der "Hartungschen Zeitung")

B.D. Berlin6. Oktober. Zu der Staatsoper fand gestern eine von der Deutschen demokratischen Partei veranstaltete Trauerfeier für Friedrich Naumann statt. Der Theaterraum war uberfüllt. Die Anwesenheit zahlreicher Parlamentarier aus den verschiedenen Fraktionen zeigte, wie die Verehrung für den Verstorbenen weit über den Rahmen der Partei hinaus alle, die ihn kannten, erfüllt. Auch Reichskanzler Bauer und der preußische Ministerpräsident Hirsch waren anwesend.

Senator Petersen hielt die Gedenkrede. Er führte etwa aus: Naumann ist der politische Führer, der seinen Lebensberuf als christlicher Seelsorger nie verleugnet hat. Als Seelsorger ist er in die Politik eingetreten, um so die Massen zur Sozialpolitik zu erziehen. Naumanns Sozialismus ging in die Tiefe. Er verstand unter Sozialismus Gerechtigkeit und Duldsamkeit auf der Grundlage der Menschenliebe. Er wusste, dass sich diese Gedanken nur durchsetzen können, wenn die Massen die Macht erhalten. Aber sein Sozialismus war im Gegensatz zur Sozialdemokratie national. So musste Naumann zur Gründung der national-sozialen Partei schreiten, als einer deren erster Anhänger und Schüler Naumanns sich Petersen bekannte. Petersen gab dann einen Überblick über die politischen Zustände zur Zeit des ersten Auftretens Naumanns und wandte sich im Zusammenhang damit gegen das Sozialistengesetz, welches eine wertvolle Staatsbürgerklasse von der praktischen Mitarbeit im Staate ausschloss. Naumann fand nicht überall das richtige Verständnis. Freilich, die Jugend scharte sich um ihn, denn sie sah in seiner Lehre den Weg zur Überwindung der Klassenkämpfe. All die, welche in Naumann nur einen Ideologen und Propheten sahen, also einen Menschen, der sich nicht auf den nüchternen Boden der Tatsachen stellen kann, tun dem Volksmann Naumannsicher unrecht. Im Gegenteil: Naumann war ein Realpolitiker von staunenswerter Kraft. Als er sah, dass sich seine Gedanken nicht im Rahmen des engen Kreises seiner Partei durchführen ließen, löste er kurz entschlossen seinenational-soziale Partei auf und schloss sich dem linken Flügel der Liberalen an. Sein Ziel und sein Programm war der Zusammenschluss aller Demokraten von Bassermann bis Bebel. Ohne Aufhören hat Naumann bis zu seinem Todestage für die Bildung einer deutschen Linken gewirkt, so lange es noch möglich war. Das Land ohne Revolution zu demokratisieren, war Naumanns großes Ziel.

Petersen ist der Ansicht, Liberale und Sozialisten hätten eine tragfähige Linke bilden können, die dann ohne Revolution mit dem Kaisertum zusammen regieren könnte. Es sei der große Vorwurf, den man der alten Regierung machen müsse, dass sie diese Forderung nicht rechtzeitig erkannt und ihr nachgegeben habe. Die Frage müsse offen bleiben, ob sich nicht bei einem Kaisertum, gestützt auf die große politische Demokratie, Krieg und Revolution hätte vermeiden lassen können. Naumann hatte stets aus dem Boden des Ausgleichs im Interesse der Gesamtheit gestanden. Es war das große Unglück des deutschen Volkes, dass bei Ausbruch des Krieges die politische Führung nicht getragen war von dem Vertrauen der Mehrheit des Volkes. Hätten wir 1914 das parlamentarische System gehabt, und es hätte von der Regierung auf Grund des geheimen und gleichen Wahlrechtes erzwungen werden können, so wäre nach Ansicht des Redners der Krieg wohl zu vermeiden gewesen. Jetzt ist es zu spät und das Kaisertum ist rettungslos verloren, das sich hätte behaupten können, wenn es sich rechtzeitig mit der Demokratie verbunden hätte. Die Zukunft Deutschlands liegt in der neuen deutschen Demokratie, die national und sozial sein muss. Dann wird sie im Sinne Naumanns nicht nur in Deutschland, sondern in der Welt ihre Stellung behaupten, getragen von den Gedanken der Gerechtigkeit und der Duldsamkeit, begründet auf der Liebe zu den Menschen.

Damaschke, Kandidat für die Reichspräsidentschaft

Hamburg4. Oktober. Angehörige aller Parteien veröffentlichten hier einen Aufruf zu der Neuwahl des Reichspräsidenten, die der Verfassung gemäß bald erfolgen muss. In diesem Aufruf wird der bekannte Bodenreformer Adolf Damaschke für das Amt des Reichspräsidenten vorgeschlagen.

Dr. A. Damaschke legte einem Mitarbeiter der "Ratl.-Ztg." seine Stellungnahme zu der ihm angebotenen Präsidentschaftskandidatur dar: Aus allen Parteien Hamburgs, von den Deutschnationalen bis zu den Sozialdemokraten, ist man an mich mit diesem Ersuchen herangetreten, wohl hauptsächlich wegen der Vorträge über die Bodenreform, die ich in Hamburg hielt. Bei der eventuellen Annahme des Reichspräsidentenpostens ist hauptsächlich ein Gesichtspunkt für mich, der ich bekanntlich keiner Partei angehöre, maßgebend, nämlich meine Ansicht, dass innerhalb der Regierung ein entpolitisiertes Gebiet geschaffen werden muss. Nach der Verfassung sind bekanntlich alle Minister gleichzeitig Parteiführer. Der Reichspräsident muss meiner Ansicht nach eine Persönlichkeit sein, deren Wirken und Wollen kein unbeschriebenes Blatt sein darf, sondern deren Wirken und Wollen man jederzeit nachprüfen kann. Ich betone ausdrücklich, dass ich die Bodenreform nicht für die Lösung der sozialen Frage halte, sondern nur für die soziale Frage unserer Zeit. Sollte ich die notwendigen 200 000 Stimmen für die Kandidatur bekommen, so werde ich die Kandidatur annehmen, wenn ich erkenne, dass ich durch mein Wirken dem deutschen Volke nützen kann. (Damaschke hat auf seinem Sondergebiet fleißig und erfolgreich gearbeitet. An die Spitze des Deutschen Reiches gehört jedoch selbstverständlich eine Kraft, die nicht einseitig auf eine Teilfrage festgelegt ist. D. Schriftl.)

Die Vorbereitungsarbeit für das Reichswahlgesetz

WTB. Berlin5. Oktober. Halboffiziell wird geschrieben: Eine Berliner Zeitung behauptete in ihrer Morgenausgabe vom Sonnabend, das neue Reichswahlgesetz befinde sich im letzten Stadium der Vorbereitung. Diese Nachricht ist unzutreffend. Der vom Verfassungsausschuss der Nationalversammlung seinerzeit eingesetzte Unterausschuss ist zu endgültigen Beschlüssen über die Ausgestaltung des Verhältniswahlrechts noch nicht gekommen. Seine Vorschläge werden dann erst en den Verfassungsausschuss selbst gehen. Bevor sich dieser in der Sache nicht grundsätzlich schlüssig gemacht hat, kann die Regierung an die Ausarbeitung des Gesetzentwurfs nicht herantreten.

Turnen und Sport

d. Herbstgeländelauf in Juditten. Weit über 100 Läufer der verschiedenen Sportvereine setzten sich mit dem Startschuss um 3 Uhr in Bewegung. Meyer, von Sportklub Preußen, setzte sich wie üblich an die Spitze und legte die zirka 4000 Meter lange Strecke in der guten Zeit von 19,18 Minuten zurück. Als zweiter folgte Masuhr vom Akademischen Sportklub Ostpreußen. Die ersten weiteren acht Läufer trafen in nachstehender Reihenfolge ein: Keller (Preußen), Seidler (Preußen), Teschner (Akad. Sportkl. Ostpreußen), Gailus (Akad. Sportkl Ostpreußen), Rump (Akad. Sportkl. Ostpreußen), Felchner (Prussia-Samland), Melzer (Preußen), Mischke (Concordia). Den Wanderpreis der Stadt Königsberg gewann die erste Mannschaft des Sportklubs Preußen 1910 mit 52 Punkten, den zweiten Wanderpreis errang der Akademische Sportklub Ostpreußen mit 58 Punkten, Baltia erhielt den dritten Wanderpreis mit 173 und Verein für Bewegungsspiele den vierten mit 206. Von den Vereinen, die den Geländelauf zum ersten Male bestritten, stellte die Sportabteilung des Königsberger Männerturnvereins die beste Mannschaft. Sie errang 143 Punkte und damit die Ehrenurkunde des Kreises Ostpreußen. Als beste zweite Mannschaft ging Sportvereinigung Prussia-Samland II mit 383 Punkten durch das Ziel und erhielt einen Wanderpreis.

a. Stafettenläufe im Tiergarten. Der Verein für Körperübungen veranstaltete am Sonntag auf der Radrennbahn im Tiergarten mehrere Stafettenläufe, die einen recht spannenden Verlauf nahmen, obgleich sich nur Vereinsmitglieder daran beteiligten. In der viermal 100 Meter-Staffel siegte die Mannschaft Schaaf, Molles, Aßmus, Kaufmann in 50,1 Sek. Die dreimal 200 Meter-Stafette gewann Gronau. Horn Lätzler in 1,20 3/5. Die Olympische Stafette (500, 400, 200 Meter) sah wieder die Läufer Molles, Schaaf, Aßmus und Kaufmann siegreich (Zeit 4,9 1/5). In der Schwedenstaffel (400, 300, 200, 100 Meter) passierte die Mannschaft Lätzler, Buldmann, Damrau, Teubner in 2,16 als erste des Ziel. Die zehnmal 1000 Meter-Stafette schließlich gewann die blaue Mannschaft in der guten Zeit von 30,45 3/5. Die Veranstaltung fand bei den zahlreichen Zuschauern großes Interesse.

Königsberger Männerturnverein. Die Übungen für ältere Herren - vornehmlich Hantel-, Stab, Keulen- und Freiübungen - beginnen am Dienstag, den 7. d. Mts. und werden wöchentlich am Dienstag und Freitag von 6:30 U bis 7:15 Uhr abends in der Turnhalle der Hindenburg-Oberrealschule nach Musikbegleitung abgehalten. Diese seit mehr denn 30 Jahren bestehende Abteilung erfreut sich reger Teilnahme, vornehmlich aus denjenigen Berufskreisen, die ihre Tätigkeit in sitzender Stellung ausüben müssen. Nach dem Takte der Musik auszuführende leichte Arm-, Bein- und Rumpfübungen, wechselnd mit Gang- und gemischten Übungen lassen die Teilnahme auch der Ungeübtesten zu. Eine besondere Turnkleidung ist nicht erforderlich, es genügt das Ablegen der Oberkleidung. Zutritt wird auch Nichtmitgliedern gestattet.

Städtekampf Danzig-Königsberg im Ringen. Sonntag, den 12. d. Mts. findet in Danzig ein Städtewettkampf Danzig-Königsberg in vier Gewichtsklassen um einen Wanderpreis statt, der dreimal, auch außer Reihenfolge, zu gewinnen ist, ehe er in endgültigen Besitz übergeht. Außerdem erhält jeder der siegenden Mannschaft einen Ehrenbecher. Gleichzeitig findet ein Propagandaringen in der 3. Klasse statt, dem ein spannender Vorkampf, sowie ein Matchkampf eingefügt wird. Der letztere wird zwischen Ebelt-"Silesia"-Stettin und Eisenblätter, Fritz "Sandow"-Königsberg um den vom Danziger Oberbürgermeister gestifteten Ehrenpreis ausgefochten. Der veranstaltende Verein ist der Kraftsportverein "Gigantia"-Danzig, während Königsberg durch den hiesigen Sportklub "Sandow" vertreten ist.

Ringkämpfe im Metropol-Theater. Am Sonnabend raugen zunächst der Afrikaner Ambrosius de Sorza und Steegemann. Infolge seines geringeren Gewichtes musste Steegemann sich vollständig auf die Verteidigung verlegen, tat dies aber in so geschickter Weise, dass der Neger in seiner Erregung zu unerlaubten Mitteln Zuflucht nahm, was von dem Kampfleiter aber energisch zurückgewiesen wurde. Nach 14 Minuten siegte dann Ambrosius de Souza durch Untergriff von hinten. Der Danziger Bokrieske erlag nach 9 Minuten einem Schleudergriff aus dem Stande des Europameisters Hinze. Im Entscheidungskampfe zwischen dem Dänen Eriksen und dem Berliner Mohrmann siegte Eriksen nach einer Gesamtzeit von 1 Stunde 16 Minuten durch Schulterdrehgriff aus dem Stand. Am Sonntag rangen Steegemann und Bokrieske unentschieden. Dann traten sich der Neger Ambrosius de Souza und Mohrmann gegenüber. Der Neger musste wieder verwarnt und mit Disqualifikation bedroht werden. Er siegte nach 15 Minuten durch Schulterdrehgriff aus dem Stande. Zum Schluss gab es noch einen unentschiedenen Kampf zwischen dem Württemberger Ritzler und dem Dänen Eriksen. Heute ringen Binetzli gegen Binner. Hinze ringt gegen Bidler, Semmel gegen Mohrmann (Entscheidungskampf).

Aus Ost-Preußen

Studienfahrt von Danzig nach Königsberg.

Die Abteilung für Schiff- und Schiffsmaschinenbau an der Technischen Hochschule Danzig beendete am Donnerstag eine siebentägige Besichtigungsfahrt mit fünfzehn Teilnehmern unter Führung von Professor O. Lienau. Es wurden besichtigt: in Elbing die Werft und Lokomotivfabrik von Schichau, die Automobilfabrik und der Motorpflegbau von Komnick, sowie die Zigarrenfabrik von Loefer + Wolff, in Königsberg die Eisenbahnhauptwerkstätte, die Union-Gießerei und die Königsberger Zellstoff-A.-G. Das dankenswerte Bemühen der Werke ermöglichte es, die

Betriebe bis ins kleinste kennen zu lernen. Den Studierenden ward so nach langem Kriegsdienst wieder Gelegenheit geboten, den Stand der deutschen Industrie im Osten kennen zu lernen und neue Anregungen zu schöpfen. Die Studienfahrt lieferte den trefflichen Beweis, dass die namentlich im Westen stark verbreitete Ansicht irrig ist, dass die Danziger Hochschule aus der östlichen Industrie keine Anregung und Belebung des Unterrichts gewinnen könnte. Die Fülle des Gesehenen und die Hochwertigkeit des Erzeugten sowie das überaus bereitwillige Entgegenkommen der Werke zeigten vielmehr, dass Industrie und Hochschule zusammen dem Studierenden gerade viel zu bieten vermögen.

Labiau, 4. Oktober. Von einer Kuh auf der Weide zu Tode geschleift wurde der zwölfjährige Knabe Bluhm aus Grabenhof. Er hatte sich den Strick um die Hüften gewickelt; beim Überspringen eines Grabens muss der Knabe hingefallen sein, und da er jedenfalls nicht mehr auf die Beine konnte, ist er zu Tode geschleift worden.

Graudenz, 4. Oktober. Ein Wagen mit Handgranaten ist am Freitag in Tusch in die Luft gegangen. Bei dem Transport mehrerer Kisten Handgranaten von der Fortifikation Graudenz nach dem Artilleriedepot in Graudenz explodierten die Kisten mit Handgranaten, vermutlich durch Selbstentzündung von Sprengkapseln. Der Wagen wurde vollständig zertrümmert, ein Arbeiter war sofort tot, der Kutscher und ein Oberfeuerwerker wurden schwer verletzt.

Sind Lungenleiden heilbar? Mit dieser wichtigen Frage beschäftigt sich eine volkstümliche Broschüre des Chefarztes der Finken-Kur-Anstalt Dr. med. H. Guttmann. Es bieten sich in dieser Broschüre ganz neue Ausblicke zur Bekämpfung derartiger Leiden. Um es nun jedem Lungen-, Hals- und Kehlkopfkranken zu ermöglichen, sich dieses interessante Büchlein mit Abbildungen zu beschaffen, wird es vollständig umsonst und portofrei an derartig Kranke abgegeben. Man schreibe nur eine Postkarte mit genauer Adresse an die Firma Buhlmann + Co., Berlin 331, Müggelstraße 25a. Das Buch wird dann jedem Besteller sofort gratis zugesandt.

 


Info: 

Archivsignatur: Königsberger Hartungsche Zeitung, Nr. 468, 6. Oktober 1919, Bundesarchiv Berlin, R 2202.
Copyright: Verbreitung und Vervielfältigung nur zu wissenschaftlichen Zwecken.
Zitierweise: Königsberger Hartungsche Zeitung, Königsberg, 6. Oktober 1919, in: Viadrina Center B/Orders in Motion (Hrsg.): "Grenzen, Kriege und Kongresse. Die Neuordnung Ostmitteleuropas aus dem Erbe der Imperien, 1917-1923" - Ausgewählte Projektquellen, bearb. von Thomas Rettig. URL: https://www.borders-in-motion.de/de/forschungsprojekte/dreijaehrig/0_grenzen_kriege_kongresse/koeigsberger-hartungsche-zeitung-6-10-1919 (Zugriff am xx-xx-xxxx)