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Die auswärtige Politik des Zionismus, Wien, 30. November 1925

Transkription


 

Die auswärtige Politik des Zionismus

Bei einem Massenmeeting in den Olympiasälen gab Oberrabbiner Dr. Chajes eine wertvolle Übersicht über den politischen Status der zionistischen Bewegung. Aus diesem Vortrage geben wir das Nachfolgende wieder:

Die zionistische, jüdische und auch nicht jüdische Öffentlichkeit hat sich in den letzten Monaten sehr eingehend mit größerem oder geringerem Wohlwollen mit den inneren Fragen des Zionismus, mit der inneren Politik des Zionismus und mit den Fragen des Palästinaaufbaues beschäftigt, aber man hat sich in der Öffentlichkeit sehr wenig mit der auswärtigen Politik des Zionismus befasst. Es ist sehr schade, dass in unseren Kreisen so wenig Interesse für diese lebenswichtige Frage des Judentums und des Palästinaaufbaues vorhanden ist. Ich weiß sehr wohl, dass wir darin das Schicksal fast aller Kulturvölker teilen. Die Fragen der auswärtigen Politik, die so häufig für das Sein oder Nichtsein eines ganzen Staates oder einer Nation entscheidend sind, sie stehen sehr wenig im Mittelpunkte der öffentlichen Diskussion. Ich weiß nicht, ob sich seit dem Eintritt eines Großteiles der Welt in den Krieg in dieser Beziehung viel geändert hat. Ich glaube sogar annehmen zu können, dass das nicht der Fall ist. Der einzelne Bürger bemüht sich heute nicht mehr als vor dem Kriege, die auswärtige Politik seines Landes kennen zu lernen, um zu wissen, in welcher Richtung sie geführt werden soll. Das hängt letzten Endes in allen Staaten, soweit sie demokratisch regiert werden, vom Volke ab. Wir sind leider in diesem Punkte nicht besser als alle anderen Völker und das ist um so mehr zu bedauern, weil wir eine viel größere und schwierigere Mission zu erfüllen haben als bereits konstituierte Völker und Staaten. Im Interesse unserer Arbeit liegt

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es, dass so weite Kreise als nur irgend möglich zur Mitarbeit und zum Verständnis für die auswärtige Politik herangezogen werden, und noch aus einem anderen Grunde ist es schade, dass für diese Frage in der jüdischen und nichtjüdischen Öffentlichkeit so wenig Verständnis vorhanden ist, nämlich weil hier eine Tradition nach Jahrtausenden wieder aufleben könnte. Wenn wir von der heutigen Generation absehen, so ist es ein einziges Mal in unserer Geschichte geschehen und das war zur Zeit der Makkabäer, dass Juden auswärtige Politik betreiben konnten. Wohl hat es schon früher so etwas wie führende Politiker gegeben, nämlich die Propheten Jesaia und Jeremia, aber es waren nicht viele, die ihnen folgten. Was wir heute auswärtige Politik nennen, jene komplizierten Probleme, die sich nicht auf zwei oder drei Nachbarn beschränken, wie etwa zur Zeit der Propheten, die großzügige Politik auf weite Sicht haben wir nur ein einziges Mal, zur Zeit der Makkabäer. Seit dieser Zeit bis zum heutigen Tage hat es das nicht mehr gegeben. Nicht während der Zeit der Herodianer, denn damals waren wir schon Sklaven Roms, nicht während des ganzen Mittelalters und nicht während der Neuzeit bis auf den heutigen Tag. Erst jetzt nach zwei Jahrtausenden bietet sich uns wieder die Chance und sie ist weit günstiger als zur Zeit der Makkabäer, auswärtige Politik zu betreiben.

Wenn wir von auswärtiger Politik des Zionismus sprechen, so müssen wir in erster Reihe an das Verhältnis zu England denken. Es ist allgemein bekannt, dass unser Verhältnis zu England es ermöglicht hat, das Interesse weiter Kreise für unsere Idee zu erwecken, wenn auch nicht immer das richtige Verständnis hierfür vorhanden war. Die Ereignisse der letzten Monate, die sich in der nächsten Umgebung von Palästina abspielten, geben uns die Möglichkeit — soweit Mitlebende dies tun können, die für sich nicht in Anspruch nehmen, als Propheten zu gelten — , zu beurteilen, ob das Verhältnis zu England, wie es von der gegenwärtigen

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Leitung der zionistischen Bewegung seit der Balfour-Deklaration inauguriert wurde, ein gutes war oder nicht. Es ist nicht unbekannt, dass während und nach dem Kongress der verantwortlichen Leitung der zionistischen Bewegung der Vorwurf gemacht wurde, sie wäre England gegenüber zu nachgiebig und lasse sich ausbeuten. Zugegeben, dass wir in den fünf oder sechs Jahren unserer gemeinsamen Arbeit mit England mehr als einmal Gelegenheit hatten, berechtigte Klage zu führen. Ich glaube aber, wir haben heute ein Recht darauf, zu sagen, dass die Politik, wie sie von den verantwortlichen Führern der Bewegung seit der Balfour-Deklaration bis zum heutigen Tage im Verhältnis zuEngland geführt wurde, die richtige war. Es war berechtigt, dass wir vom ersten Augenblick an unser Verhältnis zu England als ein Verhältnis des gegenseitigen Vertrauens hinstellen. Gerade von England können wir lernen, Politik auf weite Sicht zu machen. Es gibt kein Volk und keine Bewegung, die sich so darauf einrichten muss, Politik auf weite Sicht zu führen, wie des jüdische Volk und die zionistische Bewegung. Wir haben uns vor kurzen bitter darüber beklagt, dass England zum High Commissioner von Palästina, ohne sich mit uns zu beraten, einen Nichtjuden und gerade einen hohen Militär gewählt hat. Wenn man kein Vertrauen zu seinem Partner hat, so konnte man sagen, dass dies wohl ein Vertrauensbruch war, den England begangen hat. Dagegen ist aber einzuwenden, dass sich England nie verpflichtet hat, einen Juden zum High Commissioner zu wählen, weder im Mandat noch in privaten Abmachungen. Man könnte sagen, dass wir bei einem Verhältnis, das mehr als vorübergehend ist, das auf Intimität und Vertrauen begründet sein muss, wohl hätten verlangen können, dass bei einer so entscheidenden

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Frage unsere frei gewählte und von England sowie vom Völkerbund anerkannte Behörde gefragt werde.

Die Ereignisse der letzten Wochen und Monate haben gezeigt, warum England über diese Frage auch im engeren Kreise eine Diskussion nicht zulassen konnte. England hat Unruhen in der Nähe von Palästina vorausgesehen und wollte für diesen Fäll einen Mann an die Spitze des Landes stellen, der die Ruhe garantieren könne. Wir, die wir keinen Einblick in die Verhältnisse haben konnten, haben den Unruheherd damals in Ägypten gesehen und haben uns nicht sehr getäuscht. England hat damals schon ganz sicher den Unruheherd in Syrien erkannt und vielleicht hätten auch wir es erkennen können. Es ist doch nicht unbekannt, dass gerade während der Anwesenheit Amerys inPalästina die ersten Demonstrationen in Damaskus gegen Balfour vorgekommen sind. Wir haben es damals in der Öffentlichkeit klar ausgesprochen, dass die Unruhen beim Besuche Balfours in Damaskus nicht gegen ihn, sondern gegen die französische Okkupation gerichtet waren. Was wir aber nicht voraussehen konnten und was England damals schon erkannte, ist, dass dies ein Symptom und keine vorübergehende Episode war und dass sich innerhalb der syrischen Bevölkerung Dinge vorbereiteten, die England und uns zur größten Wachsamkeit verpflichten. Dadurch, dass aus diesen Gründen die Wahl auf Feldmarschall Plumer gefallen ist, ist es durchaus begreiflich, dass die Frage nicht Gegenstand einer Diskussion auch nur im engsten Kreise sein konnte. Mitglieder des englischen Kabinetts haben bestätigt, dass sie bis zum letzten Augenblick nicht wussten, auf wen die Wahl fallen werde. Nur ein ganz kleiner Kreis, das engere Kabinett, hat die Entscheidung getroffen. Es hat sich nicht

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darum gehandelt, wie die Verwaltung Palästinas im Sinne des Mandats und auf den von Herbert Samuel vorgezeichneten Wege weitergeführt werden solle, sondern es spielten die Fragen des Dominion in Ägypten und die Schwierigkeiten, die in Syrien für Frankreich vorauszusehen waren, mit. Das waren Fragen delikatester Art und es war ganz richtig, dass die führenden zionistischen Kreise in diesem Falle bei aller Kränkung, die sie damals mit Recht als Kränkung empfanden, doch ihr vertrauenvolles Verhältnis zu England nicht änderten.

Wir wissen nicht, wie sich die Verhältnisse im nahen Orient entwickeln werden; was wir aber jetzt sehen, ist dass unsere politische Situation vielleicht niemals so günstig war wie heute. Wir können nicht nur England, sondern der ganzen Welt zeigen, was es bedeutet, dass dank der jüdischen Einwanderung und der jüdischen Arbeit in Palästina Ruhe gehalten werden kann. England gibt sich keinen Täuschungen hin. Hätte es das Mandat über Palästina so übernommen wie Frankreich über Syrien, das heißt mit der ausdrücklichen und alleinigen Verpflichtung, einen arabischen Staat in Palästina zu verwalten, so wären in Palästina wahrscheinlich dieselben Unruhen wie in Syrien unter französischen Regime und in Teilen Mesopotamiens und Transjordaniens, die auch unter englischen Mandat stehen, entstanden. Frankreich hat in Syrien schwere Fehler begangen, die man ihm nach den großen Erfahrungen, die es in seinen Kolonien in mehr als einen halben Jahrhundert gesammelt hatte, nicht zugetraut hätte. Sein schwerer Fehler in Syrien bestand darin, dass es vermeinte, seine Arbeit leichter gestalten zu können, wenn es Syrien in drei Teile teilt. Durch die Teilung des Landes wurde jedoch

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seine Einheitlichkeit nicht geschwächt, sondern im Gegenteil, es wurde die Bewegung für den einheitlichen Kampf gegen die Fremden nur noch gestärkt. Wenn England solche Fehler nicht begeht, so ist dies auf eine größere Erfahrung zurückzuführen. In Palästina wäre zweifellos ein ähnlicher Unruheherd vorhanden, wenn England nicht die jüdische Einwanderung und das jüdische Nationalheim gefördert hätte. Ich glaube, dass die englischen Kreise, die bis vor kurzem die Frage des Nationalheimes in Palästina als Belastung für England empfunden haben, jetzt ganz anderer Ansicht geworden sind, nämlich das dadurch Palästina zu einer Oase, zu einer Insel der Seligen im aufgewühlten Orient wurde. Es liegt im jüdischen Interesse, im Lande vollständig Ruhe zu halten und die Macht Englands zu stärken. Es hat sich gezeigt, dass die Politik des gegenseitigen Vertrauens schon nach verhältnismäßig kurzer Frist Früchte getragen hat. In jüdischen Kreisen ist die Überzeugung stärker geworden, als sie noch vor einigen Monaten war, dass wir unser vertrauensvolles Verhältnis zu England ausbauen müssen. Was aber noch wichtiger ist, ist der Umstand, dass England erkannt hat, das Vertrauen der Juden sei Englands eigenen Interessen weit förderlicher, als noch vor wenigen Monaten geglaubt wurde.

Die zweite Frage in der Au3enpolitlk ist die arabische Frage, die uns hauptsächlich interessiert. Es ist schwer, sie im gewöhnlichen Sinne des Wortes als eine Frage der Außenpolitik zu bezeichnen. Man kann es aber deswegen tun, weil die arabische Frage sich nicht nur auf die Araber in Palästina beschränkt, sondern auch auf die Araber, die in den benachbarten und entfernteren Ländern Asiens und Afrikas leben. Auch unsere arabische Politik, wie sie bis jetzt

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geführt wurde, ist die einzige, die man führen konnte und die man in der nächsten Zeit wird führen müssen. Sie bestand darin, durch Worte und noch mehr durch Taten dem arabischen Volk zu beweisen, dass wir nicht als Ausbeuter ins Land kommen, um sie zu schädigen oder zu verdrängen, sondern dass wir die ehrliche und redliche Absicht haben, die schon vom gesunden Egoismus diktiert ist, mit diesem Stamme so gut und friedlich zu leben, als nur irgend möglich. Diese Politik schien Schiffbruch gelitten zu haben. Man hat der Leitung Vorwürfe gemacht, weil sie zu keiner aktiven arabischen Politik übergegangen ist, und well sie keine konkreten Vorschläge eines Kondominiums, einer gemeinschaftlichen Herrschaft, gemacht hat. Der Zeitpunkt dazu ist noch nicht gekommen und es gibt keinen Menschen mehr, ob er nun rechts oder links oder außerhalb der zionistischen Bewegung steht, der nicht erkennen würde, dass zu einer solchen Auseinandersetzung mit den Arabern über die gemeinsame Zukunft im Lande die Zeit noch nicht reif ist. Es hat sich gezeigt, dass unser Verhältnis zu den Arabern - und nicht zum arabischen Volke, denn zu diesem war es niemals ein schlechtes - , zu den verantwortlichen und unverantwortlichen Führern der arabischen Bewegung ein besseres geworden ist. Kurz nach dem Ausbruch des Drusenaufstandes inPalästina haben die Araber gemeint, dass der Augenblick gekommen sei, um eine Offensive in Palästina zu machen; nicht im Sinne eines Pogroms oder Straßenkampfes denn sie wussten sehr genau, dass England gerade jetzt, da es einen erfahrenen Feldmarschall zum Leiter gemacht hatte, nicht mit sich spaßen lassen werde. Aber sie dachten an eine Offensive bei der englischen Regierung, sie vermeinten einerseits, dass die Wahl eines nichtjüdischen

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Militärs, von dem sie annehmen konnten, dass er mit der Politik und mit der Balfour-Deklaration nicht so verwachsen sei, und dass andererseits die Unruhen in Syrien ihre Aufgabe erleichtern würden, von der englischen Regierung zu verlangen, die Balfour-Deklaration und die Einwanderung nach Palästina soweit sie möglich zu sabotieren. Die Ereignisse haben sie eines Besseren belehrt. Nicht nur ist in den letzten Wochen, soweit bisher bekannt ist, die Offensive weit schwächer geworden, sondern es macht sich auch in den Kreisen, die bis zum heutigen Tage erklärten, es könne keinen Frieden mit England und den Juden geben, ehe nicht die Balfour-Deklaration zurückgezogen sei, jetzt eine Bewegung bemerkbar, von der wir von hier aus nur beurteilen können, dass die Stimmung dahin geht, dass England das Protektorat über die anderen arabischen Staaten übernehme, die jetzt unter französischer Herrschaft stehen, und das selbst unter der Bedingung, dass die Balfour-Deklaration geschluckt werden könnte; und noch mehr - dass unter dieser Bedingung das jüdische Nationalheim in Palästina für die Araber nicht gefährlich wird. Ich weiß nicht, ob das mehr als Stimmungen sind und ob sie eine radikale Änderung in der Politik der Araberführer bedeuten. Aber es ist immerhin charakteristisch, dass sich im Laufe von wenigen Wochen unter dem Druck der Verhältnisse, die ursprünglich einer arabischen Offensive günstig erscheinen mussten, die Lage so änderte, dass die Araberführer, und zwar gerade diejenigen, die bis vor kurzem im schärfsten Gegensatz zur englischen Politik inPalästina standen, jetzt solche Gedanken in ihren Kreisen aufkommen lassen.

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Dies beweist, dass unsere Politik den Arabern gegenüber keinesfalls eine verfehlte war. Wir haben nichts getan, um die Araber zu reizen. Man hat sich die größte Mühe gegeben, mit jenen arabischen Führern, die irgend einem Raisonement zugänglich waren, erträgliche Verhältnisse zu schaffen. Noch während des Krieges, als die erste zionistische Kommission — so war ihr Name - unter Führung Weizmanns nach Palästina kam, hat man schon damals mitHussein, der zu dieser Zeit noch im Hintergrund stand, Verbindungen gesucht. Man hat auch mit Faisal, der für wenige Woche gegen den Willen Frankreichs König von Syrien geworden war, und später Mesopotamien erhielt, Verbindungen angeknüpft. Es war damals jedem von uns klar, dass diese Politik noch keinen effektiven Wert haben würde. Es war aber von Vorteil, diesen arabischen Führern zu zeigen, dass ein gutes Verhältnis mit der Zionistischen Organisation für sie nur nützlich sein kann. Man hat alles getan, um die arabische Bevölkerung so wenig als möglich zu reizen, und so stark als möglich zu fördern. Baron Edmund Rothschild, ein Faktor, der nicht zu unterschätzen ist, der bei den Arabern große Achtung genießt, hat schon während des Krieges immer eine Tendenz verfochten, dass beim Bodenkauf die Interessen der arabischen Bevölkerung viel stärker zu schützen sind, als irgend eine türkische oder mohammedanische Regierung je tun könnte. Der Boden gehört meistens den Efendis, die sich um die seit Jahrhunderten auf den Boden ansässigen Fellachen überhaupt nicht kümmern, und die bei jedem für sie günstigen Anlass bereit sind, die bauerliche Bevölkerung, ohne sich weiter um ihr Schicksal zu kümmern, von Grund und Boden zu verjagen. Sowohl Edmund Rothschild als auch der Nationalfonds haben beim Bodenkauf immer für die um ihre Existenz gebrachten

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Fellachen gesorgt. Man hat ihnen größere Darlehen gewährt und ihnen sogar oft viel besseren Boden geschenkt. Wir haben dazu beigetragen, dass das Verhältnis der arbeitenden Bevölkerung zu den Juden keinesfalls ein schlechtes gewesen ist, und auch nicht während der Pogromzeit war.

Es handelte sich damals ja nur um von bezahlten Agitatoren hervorgerufene Ausschreitungen. Die bäuerliche Bevölkerung hat sich nie an solchen antisemitischen Ausschreitungen beteiligt. Denn für uns ist es etwas Selbstverständliches, dass in dem Augenblick, in dem die Juden einen Grundbesitz übernehmen, die dort ansässigen arabischen Familien besser versorgt werden, als sie es bisher waren. Erstens werden die Fellachen, die bisher im drückendsten Abhängigkeitsverhältnis von den Grundbesitzern lebten, von diesen befreit und zweitens für sie menschliche Lebensverhältnisse geschaffen. Baron Rothschild hat für Ameliorierungsarbeiten des Bodens ungeheure Summen ausgegeben und das, ohne dazu verpflichtet zu sein. Die arabische Bevölkerung richtet sich auf dem ihr zugewiesenen neuen Boden viel besser ein als auf dem alten und kann dies durch die Darlehen, die ihr unter den günstigsten Bedingungen gewährt werden, tun. Diese Tatsache hat dazu geführt, dass im Laufe des Jahres die Araber, die im ganzen und großen intelligent sind, wenn sie auch auf keiner hohen Kulturstufe stehen, verstanden haben, dass die Behauptung ganz unrichtig ist, die Juden kämen als Ausbeuter, die sie verdrängen wollen, ins Land. Trotz alldem wäre es gefährlich, wenn es zu einer Bewegung gegen die Juden käme, die bei einem so primitiven Volk, wenn es aufgehetzt wird, immerhin Platz greifen könnte. Wir erleben es in europäischen Staaten, deren Verhältnisse weit günstiger sind, das sonst Juden gar

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nicht unfreundlich gegenüberstehende Menschen durch Verhetzung dazu gebracht werden, Grausamkeiten zu begehen, der man sie nie für fähig gehalten hätte. Jetzt stehen wir soweit, dass auch die hetzerischen Führer anfangen umzulernen. Ich glaube, dass dieser psychologische Moment jetzt gekommen ist, wo auch die maßgebenden gegnerischen Führer einsehen, dass es nicht vernünftig ist, in dieser Weise gegen die Juden und gegen England Politik zu machen.

Der dritte Faktor unserer auswärtigen Politik ist der Völkerbund und da müssen wir uns schon den Vorwurf machen, dass wir diesen Zweig bisher nicht genügend gepflegt haben. Es ist unsere Pflicht, weitsichtiger zu sein, als es alle anderen in glücklicheren Verhältnissen lebenden Völker sein müssen. Es ist wohl richtig, dass uns aus dieser Vernachlässigung bis jetzt kein Schade entstanden ist, trotzdem im vorigen Jahre die permanente Mandatskommission des Völkerbundes über die Einwanderung nach Palästina ein ungerechtes, aus mangelnder Sachkenntnis entstandenes Gutachten abgegeben hat. Trotzdem hat im letzten Jahre die Einwanderung nicht nur nicht nachgelassen, sondern sie ist sogar stärker geworden. Der Präsident der permanenten MandatskommissionMarchese Theodoli, kann uns auch aus verschiedenen Gründen nicht gewogen sein. Erstens weil er klerikal und zweitens weil er Faszist ist, wobei Faszismus nicht Antisemitismus bedeutet; aber Faszismus bedeutet in gewissem Sinne Misstrauen gegen jede Macht, die irgend einmal die Interessen Italiens schädigen könnte und eine solche Macht sieht er in England undFrankreich, da dies Staaten sind, die die Expansionsgelüste Italiens bei verschiedenen Anlässen bereits gehemmt haben. Aus dieser Perspektive heraus ist das entstanden, was selbst ein genauer Kenner der italienischen Verhältnisse wie

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ich, der ich 16 Jahre dort gelebt habe, nicht für möglich gehalten hätte, dass ln Italien eine scharfe antienglische Bewegung entstand. Im Augenblick ist sie gedämpft, aber sie kann in jedem Moment wieder neu aufleben. Der italienische Faszismus muss deshalb gegen das jüdische Nationalheim sein, weil das englische Imperium seinen Expansionsgelüsten im Wege steht. Der dritte Grund dafür, dass uns Marchese Theodoli nicht gewogen sein kann, ist der, dass seine Frau eine Syrierin ist, die Tochter eines Mannes, der zu den Führern der arabischen Hetzpartei gehört. Dieser Theodoli hat aber jetzt mit einer undiplomatischen Offenheit gesagt: "Glauben Sie mir, wir von der Mandatskommission werden nichts tun, was England tatsächlich unangenehm ist. Wir werden nicht nur nichts tun, was gegen England ist, sondern auch nichts, wozu England nicht implicite oder explicite seine Zustimmung gibt." Tatsache ist, dass die Immigration im letzten Jahre stärker geworden ist und die Mandatskommission dagegen nicht protestiert hat. Wir wissen nicht, wie der Bericht in diesem Jahre ausfallen wird. Er ist bereits fertig, aber er wird - anders wie im Vorjahre - bis zum Tage der Veröffentlichung streng geheim gehalten. Man weiß, wie die Verhandlungen vor sich gegangen sind. Der englische Vertreter, Ormbsby-Gore, hat das Palästinamandat viel stärker verteidigt, als dies Herbert Samuel getan hat. Dieser wurde damals gleichsam als Angeklagter verhört, während Ormbsby-Gore, der nicht High Commissioner ist, eine ganz andere Sprache führen kann. In der Mandatskommission saßen voriges Jahr viele, die wie Professor RappardPalästina gar nicht kannten. Rappard war zum ersten Male heuer bei der Universitätseröffnung in Erez Israel und sein Eindruck war so stark, dass er ihn in der ganzen Welt zum Ausdruck bringen musste. Wir dürfen also annehmen,

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dass der Bericht diesmal weit gerechter ausfallen wird, als im Vorjahre. Wie immer sich auch die Sache verhält, so muss man Vertrauen dazu haben, dass Theodoli die Wahrheit gesagt hatte, wenn er behauptete, dass nichts geschehen werde, was England nicht gefällt. Chamberlain hat der damaligen Mandatskommission eine Rüge erteilt, wir haben uns überzeugt, dass es notwendig ist, mit dem Völkerbund engsten Kontakt zu haben, und zwar hauptsächlich mit seinen für uns vorwiegend in Betracht kommenden Organen, mit dem Völkerbundrat und dem Sekretariat der ständigen Mandatskommission. In den letzten Minuten des Jahres 1924 wurde in Genf eine ständige zionistische Vertretung eingerichtet, die sich nach Kräften bemüht, die Organe des Völkerbunds über die Verhältnisse in Palästina zu Informieren. Es genügt aber nicht, wenn der Völkerbundrat und das Sekretariat auf dem Laufenden gehalten werden. Wir müssen nicht nur trachten, mit den jetzigen Mitgliedern des Völkerbundrates in Verbindung zu treten, denn diese wechseln ständig ab, und es kann geschehen, dass beispielsweise morgenDeutschlandPolen oder Österreich dort sitzen werden. Daraus erklärt sich auch, dass die zionistischen Führer sich bemühen, die einzelnen Staaten Europas zu veranlassen, irgendwie bindende Erklärungen für das jüdische Nationalheim abzugeben. Im vorigen Jahre waren es die rumänische und die polnische Regierung, die solche Erklärungen abgaben, und es dürfte nicht allgemein bekannt sein, dass auch die deutsche Regierung eine derartige Erklärung abgegeben hatte. Es war dies zur der Zeit als Rathenau Außenminister war und Deutschland noch nicht daran denken konnte, in den Völkerbund einzutreten. Während der Anwesenheit Weizmanns in Deutschland hat der Minister des Äußern einen offiziellen Empfang gegeben und dadurch seine Interessenahme an der zionistischen Bewegung

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kundgetan. Man darf diese Tatsachen nicht unterschätzen, denn Deutschland kann, wie gesagt, bald Mitglied des Völkerbundes, ja sogar des Völkerbundrates werden. Auch mit Japan, von dem wohl keine Gegnerschaft zu erwarten ist, wurden in der letzten Zelt freundschaftliche Beziehungen angeknüpft und man hat den Vertreter Japans im Völkerbund genau über die Lage in Palästina informiert. Es ist immer besser, uninteressierte Freunde zu haben, wie esJapan ist, als Freunde, die vom eigenen Interesse abhängen und morgen schon in ein anderes Lager getrieben werden können.

Wenn man von jüdischer Außenpolitik spricht, so müssen noch drei Faktoren in Rechnung gezogen werden: Amerika, der Vatikan und die Türkei. Unser Verhältnis zu Amerika ist ein durchaus positives. Ein Ereignis, das nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, ist, dass beide Häuser des amerikanischen Parlaments mit Zustimmung des Präsidenten eine Resolution fassten, in der das jüdische Nationalheim in Palästina begrüßt wird. Es ist ein nicht hoch genug einzuschätzendes Ereignis deshalb, weil Amerika stets ängstlich darauf bedacht ist, mit der europäischen Politik ein so loses Verhältnis wie nur irgend möglich zu haben und weil Amerika alles ablehnt, was nur irgendwie mit dem Völkerbund in Verbindung steht. Trotzdem hat Amerika in diesem Falle eine Ausnahme gemacht. Nicht aus amerikanisch-politischen Gründen, sondern aus Sympathie für die Juden. Dies ist nicht nur deshalb von Bedeutung, weil Amerika ein maßgebendos Wort in allen Weltfragen zu sprechen hat, und nicht nur, weil Amerika vielleicht doch in einem etwas

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anders konstruierten Völkerbund eintreten könnte, sondern weil die Willensäußerung der Regierung auch für die im Lande lebenden Juden eine gewisse Bedeutung hat. Es gibt in Amerika Juden, die 100- und 120prozentige Amerikaner sind oder zu sein wünschen und vorgeben. Für diese Juden ist es eine große Beruhigung, wenn sie hören, dass ihre Regierung in einer so solennen, fast noch nie dagewesenen Weise die Errichtung des jüdischen Nationalheims begrüßt. Dass in Amerika jetzt eine starke Bewegung für den Zionismus entstanden is, ist diesem Schritt der Regierung zuzuschreiben.

Der zweite Faktor, von dem zu sprechen ist, ist der Vatikan. Wir unterhalten zu ihm ein durchaus negatives Verhältnis. Viele sind der Meinung, dass dieses Verhältnis niemals ein anderes werden könne. Trotzdem ist es nicht uninteressant, daran zu erinnern, dass es doch Augenblicke gegeben hat, in denen der Vatikan die Sache ganz anders angesehen hat, als dies die gegenwärtigen Leiter der katholischen Kirche tun. Ich will hier an den vorigen Papst Benedikt den Fünfzehnten, der während des Krieges regierte, erinnern. In einer Unterredung mit Sokolow sagte er: "Ich hoffe, dass wir gute Nachbarn sein werden". Aber noch eine andere Tatsache, die nicht allgemein bekannt ist, möchte loh dafür anführen. Ein jüdisch-amerikanischer Journalist namens Henry Bernstein [geimeint ist wahrscheinlich Herman Bernstein] reiste für große amerikanische Blätter durch die ganze Welt, um die hervorragendsten Vertreter der Politik, Kunst und Wissenschaft zu interviewen. Vor wenigen Monaten wurden alle diese Unterredungen, in einem Werke gesammelt, herausgegeben. Es ist darin auch eine Unterredung mit Papst Benedikt dem Fünfzehnten enthalten.

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Für ihre Authentizität bürgt, das sie schon während des Krieges, also noch zu Lebzeiten des Papstes in amerikanischen Blättern veröffentlicht wurde und damals kein Dementi erfolgte. Die Unterredung fand im Jahre 1915 statt, zu einer Zeit, als der Papst den missglückten Versuch unternahm, zwischen Deutschland und England zu intervenieren. Bernstein wünschte eine Intervention des Papstes in Polen und Russland gegen die Ausschreitungen des russischenGroßfürsten Nikolaus. Der Papst hat damals tatsächlich interveniert und die Bischöfe Polens aufgefordert, über die Grausamkeiten gegen die Juden nach Rom zu berichten, und auf Grund dieses Materials erwirkte er eine Besserung der Lage der Juden. Benedikt der Fünfzehnte hat auch in der Beilis-Frage interveniert. Der Journalist stellte an den Papst die Frage, wie er sich zur Errichtung eines jüdischen Nationalheims in Palästina stelle. Diese Frage war damals im Jahre 1915 wohl etwas verfrüht, denn die Verhandlungen wurden erst im Jahre 1917 zu Ende geführt und gerade Amerika hatte sehr viel dazu beigetragen. In Amerika hatte man sich schon seit 1914 mit der Palästinafrage beschäftigt, vor allem waren es die zionistischen Führer Brandeis und Wise. Auf die Frage, die Bernstein an den Papst stellte, antwortete dieser wörtlich: "Ich habe volle Sympathie für die nationalen Bestrebungen der Juden inPalästina. Wir wünschen Freiheit und Gerechtigkeit und die Juden streben überalls nach Freiheit und Gerechtigkeit". Diese Antwort war sicherlich zum Fenster hinaus gesprochen, denn der Papst musste wissen, dass der Journalist diese Äußerungen der breitesten Öffentlichkeit mitteilen werde. ln einer späteren Unterredung mit Sokolow hat dar Papst ähnliche Äußerungen kundgetan.

Schon damals war Kardinal Gasparri Staatssekretär, der

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später alles mögliche getan hat, um die Palästinabewegung zu stören. Es ist nicht recht klar, was in der Zwischenzeit vorgefallen ist. Es kann aber nicht darein gelegen sein, dass es sich damals noch um ein Projekt gehandelt hatte, das jetzt zur Wirklichkeit wurde, und da man damals einer "Utopie" Sympathien zum Ausdruck bringen konnte, während man jetzt die Tatsachen zu bekämpfen glauben müsse. Als im Jahre 1904 Theodor Herzl mit Papst Pius dem Zehnten sprach, hatte sich dieser durchaus ablehnend verhalten, und zwar aus Gründen, die durchaus religiöser Natur waren. Für ihn kam eine Rückkehr der Juden nach Palästina nur in Betracht, wenn sie sich zum Christentum bekennen. Wenn nun wieder eine Änderung in der vatikanischen Politik eingetreten ist, so muss dies auf politische Verhältnisse zurückzuführen sein, die uns bisher unbekannt sind. Die Stimmung des Vatikans ist frankophil geworden, und Frankreich hat in den ersten Jahren nach der Balfour-Deklaration in Verbindung mit dem Vatikan in Syrien und Palästina Politik gemacht. Ob nur diese Sympathie für Frankreich für Gasparri, der der tatsächliche Leiter der vatikanischen Politik ist, maßgebend ist, oder ob nicht auch andere Gründe, etwa ein gewisses Misstrauen gegen das protestantische England entscheidend sind, entzieht sich unserer Kenntnis. Immerhin steht die Tatsache fest, dass der Vatikan seine Politik geändert hat, und so steht auch die Möglichkeit offen, dass wieder eine Änderung im günstigen Sinne erfolgen kann. Tatsache ist, dass im letzten Halbjahr der Vatikan eine viel reserviertere Stellung eingenommen hat, vielleicht hat auch die Niederlage der französischen Politik in Syrien dazu beigetragen, unser Verhältnis günstiger erscheinen zu lassen, als dies noch vor einem Jahr der Fall war

Was unser Verhältnis zu Frankreich anlangt, so muss

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daran erinnert werden, dass es in den ersten Jahren nach der Balfour-Deklaration nicht allzu günstig war, und zwar nicht hauptsächlich in Paris, sondern vielmehr in den Kolonien. Heute ist es unsere Pflicht zu sagen, dass die Regierungen PoincaréHerriot und Painlevé der Palästinafrage durchaus sympathisch gegenüberstanden. Man konnte nicht mehr nachweisen, dass irgendwie französische Hände dabei im Spiel waren, wenn eine Gegnerschaft gegen die Juden in Palästina im Spiele stand.

Zu der Türkei haben wir zu unserem größten Bedauern gar keine Beziehungen. Es ist dies nicht nur deshalb bedauerlich, weil die Türkei immerhin im Orient wieder ein Machtfaktor geworden ist, und weil sie tatsächlich versucht, ein gutes Verhältnis zu den Arabern herzustellen, sondern weil uns mit der Türkei alte freundschaftliche Bande verknüpfen. Wir können und wollen nicht vergessen, dass die Türkei durch Jahrhunderte hindurch das Asyl aller gedrückten Juden war. Deshalb müssen wir uns bemühen, mit der Türkei freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten, auch wenn wir die Türkei momentan nicht brauchen. Denn es gibt im Orient keinen Faktor, den wir nicht einmal brauchen werden. Es ist sicherlich ein Unrecht, dass man die Türkei gewissermaßen beiseite lässt. Denn es gibt Symptome dafür, dass jetzt der gegebene Augenblick ist, um mit den führenden Männern der Türkei in ein Verhältnis zu kommen, von dem ich überzeugt bin, dass es für Palästina und seine Entwicklung aus ökonomischen und politischen Gründen nur förderlich sein kann.

Aus dem oben gesagten geht hervor, dass die Fragen der auswärtigen Politik nicht nur für die führenden Zionisten

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äußerst wichtig sind, sondern dass jeder an der Zukunft unseres Volkes und an dem Aufbau Palästinas interessierte Jude sich mit diesen Fragen mehr beschäftigen sollte, als es bisher geschehen ist. Wir sind eine demokratische Bewegung und wir wünschen, dass unsere Bewegung demokratisch geführt wird. Wir wollen den Wünschen der Juden Rechnung tragen, aber dazu ist es notwendig, dass wir ihre Wünsche tragen, aber dazu ist es notwendig, zu wünschen, muss man die Politik nicht nur kennen lernen, sondern sie auch verstehen.

 



Info:

Archivsignatur: Die auswärtige Politik des Zionismus, Wien, 30. November 1925, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, R72221, Vatikan.
Copyright: Verbreitung und Vervielfältigung nur zu wissenschaftlichen Zwecken.
Zitierweise: Die auswärtige Politik des Zionismus, Wien, 30. November 1925, in: Viadrina Center B/Orders in Motion (Hrsg.): "Grenzen, Kriege und Kongresse. Die Neuordnung Ostmitteleuropas aus dem Erbe der Imperien, 1917-1923" - Ausgewählte Projektquellen, bearb. von Thomas Rettig. URL: https://www.borders-in-motion.de/de/forschungsprojekte/dreijaehrig/0_grenzen_kriege_kongresse/projektquellen/auswartige-politik-zionismus-wien-1925 (Zugriff am xx-xx-xxxx)