Banner Viadrina

Bevorstehende Aktionen des Komitees der jüdischen Delegationen, Paris, 12. März 1920

Transkription


 

 

Comité des délégations juives auprès de la conférence de la paix.

10, Place Edouard VII Paris.

Paris, den 12. März 1920.

Communiqué - Die momentan bevorstehenden Aktionen des Komitees der jüdischen Delegationen

Das Komitee der jüdischen Delegationen hielt unter Vorsitz des Generalsekretärs Motzkin in der letzten Woche mehrere sehr wichtige Sitzungen ab, an denen auch einige auswärtige Mitglieder (so Redakteur Idelsohn -LondonGoldstein - London, Abgeordneter Grünbaum - Warschau, etc.) und eine Reihe von Gästen, die mit öffentlichen Missionen betraut waren, teilnahmen. Auf Grund eingehender Berichte über die Lage in den einzelnen Ländern und über die Arbeiten des Komitees, wurde sowohl der momentane Zustand als die Absichten des Komitees mit Bezug auf die nächste Zukunft einer gründlichen Analyse unterzogen. Es stellte sich von neuem heraus, dass das Komitee noch Monate hindurch die Aktionen, welche im Zusammenhang mit der Friedenskonferenz stehen, zu vollbringen haben wird. Andererseits ging aus zahlreichen schriftlichen Kundgebungen und mündlichen Erklärungen hervor, von welcher Bedeutung das Komitee der Delegationen für die schweren Kämpfe der Juden in den Ländern selbst geworden ist; aus mehreren Orten erklang direkt oder indirekt durch vorangegangene Besprechungen in London und durch die Verhandlungen in den genannten Sitzungen, der Alarmruf, dass das Komitee auf keinen Fall ein Vakuum hinterlassen solle.

[Page]

Bl. 2

Mehrere der Gäste hatten Gelegenheit, über ihre öffentliche Missionen, die mit der Lage der Juden in den Ländern der großen Katastrophen verbunden sind, zu berichten. So war von großem Interesse der ausführliche Bericht, welchen die Herren Massel und Kamaiky, die als Vertreter des Hebrew Sheltering and Immigrant aid Society of America nach PolenGalizienLitauen und Rumänien sich begeben, über ihre Aufgaben erstattet haben. Gegenüber dieser einzigartigen Mission, die Familien von Zehntausenden Juden, die aus PolenUkraineLitauen etc. schon vor dem Krieg nach Amerika übergesiedelt waren, zu den Ernährern jenseits des Ozeans hinüberzubringen, äußerte das Komitee seine besonderen Sympathien und beschloss nach einer sehr eifrigen Besprechung das Werk der beiden Abgesandten durch seine Beziehungen in jeder Weise zu fördern.

In einer späteren Sitzung wurde ein Bericht der ostgalizischen Delegation entgegengenommen, bestehend aus den Herren Dr. PachtmannDirektor Eisler, Redakteur Frostig und Dr. Tenenbaum über ihre Reise nach Amerikazwecks Rekonstruktion des jüdischen Wirtschaftslebens von Ostgalizien. Auch anlässlich der Diskussion über dieses Problem zeigte sich, wie wichtig die allgemeine jüdische Hilfskonferenz ist.

Auf Grund einer vom Generalsekretär vorgenommenen Zusammenfassung der Einzelheiten über den jetzigen Stand der Arbeiten für die Hilfskonferenz konnte die Beziehung des Judentums gegenüber dem Plan also formuliert werden. Fast sämtliche demokratischen und nationalen Elemente des jüdischen Volkes betrachten die Hilfskonferenz als eine Lebensnotwendigkeit. Insgesamt waren bislang 45 Hilfskomitees, 5 Gemeindeverbände, in deren Programm Hilfsarbeit eingeschlossen ist, 2 jüdische Kongresse, 4 Nationalräte und 5

[Page]

Bl. 3

allgemeine jüdische Organisationen (Alliance IsraéliteJewish Colonisation AssociationZionistische OrganisationAgudas IsroelBnei Brith), also lauter Organisationen, die indirekt auf das Hilfswerk seinen Einfluss ausüben, eingeladen worden. Ungeachtet des Umstandes, dass eine gewisse Anzahl Organisationen, die in weiter Ferne funktionieren, die Einladungen überhaupt noch nicht haben beantworten können, steht auf Grund der bisherigen Erfahrungen schon heute Folgendes fest: Schon in diesem Stadium sind dreiundfünfzig Delegierte zur Konferenz angemeldet und von einer Reihe anderer Organisationen, deren Teilnahme außer Zweifel steht, sind weitere zwanzig Delegierte zu erwarten. Ein Dutzend weiterer Delegierungen sind sodann nur bedingt angekündigt, aber auch deren Teilnahme ist mehr als wahrscheinlich. Ablehnend haben bis jetzt nur einige Organisationen geantwortet, aber es muss gleich bemerkt werden, dass diese Organisationen im wirtschaftlichen Leben des Judentums eine ungeheuere Rolle spielen und über außerordentliche Machtmittel verfügen, weswegen auf ihre Teilnahme ein großes Gewicht gelegt wird. Es handelt sich um das American Jewish Relief Committee, um die Alliance Israélite und die Jewish Colonisation Association.

Gleichwohl würden auch schon heute die circa achtzig Delegierte, welche mit Bestimmtheit an der Hilfskonferenz teilnehmen wollen und sich aus fast allen Ländern (darunter auch Vereinigte StaatenSüdafrikaKanada) rekrutieren, ganz hervorragende Finanzmittel repräsentieren, und andere materielle Machtfaktoren hervorrufen.

Gleichzeitig ist auf Grund der letzten Berichte, welche von dem Abgesandten des Komitees, Dr. Salkind , auf Grund seiner

[Page]

Bl. 4

energischen Tätigkeit, aus Amerika eingelaufen sind zu hoffen, dass auch diejenigen amerikanischen Organisationen, die sich gegenüber der allgemeinen jüdischen Hilfskonferenz ablehnend verhalten, schließlich ihre Gesinnung ändern und auf den Plan eingehen werden, der ebenso eine Notwendigkeit ist, wie er den Volkswillen der Juden wiederspiegelt.

In den Beratungen des Komitees herrschte im allgemeinen mit Bezug auf die Hilfskonferenz eine sehr optimistische und entschiedene Stimmung: Dies kam in einer Resolution zum Ausdruck, welche nochmals das Festhalten an der Hilfskonferenz betont und nur hinsichtlich des Zeittermins kleine Zugeständnisse eventuell sanktioniert, einen Aufschub über den Juni hinaus jedoch nicht zulässt. Die zahlreichen Zustimmungserklärungen, welche sodann zur Kenntnis des Komitees gebracht wurden, bewiesen von neuem, dass das Komitee mit seiner Losung nur einem dringenden Bedürfnis nachgekommen ist.

An diesen wichtigen Verhandlungen sowie an den anderweitigen Beratungen nahm einen sehr aktiven Teil auch der Deputierte des polnischen SejmsGrünbaum, der sich vorübergehend in Paris aufhält.

Was die speziellen Formen der künftigen Organisation des Waad Haarazoth anbetrifft, so wurde mit Rücksicht auf die Abwesenheit des Präsidenten, des Herrn Sokolow, der wegen dringender politischer Aktionen mit Bezug auf Palästina und wegen spezieller Aufgaben des Komitees vor der Friedenskonferenz in London zurückgehalten wird, davon Abstand genommen, die endgültige Entscheidung zu treffen. Einhellige Zustimmung fand indes eine Resolution, welche lautet:

Die Plenarsitzung des Komitees der jüdischen Delegationen beschließt, dass das Komitee unverzüglich an die Aktionen zugunsten der Verwirklichung des Waad Haarazoth heran

[Page]

Bl. 5

treten soll. Die weitere Bestimmung der daranzielenden Schritte soll erst nach Rückkehr des Präsidenten festgelegt werden.

Bei dieser Gelegenheit wurde sodann beschlossen, dass Anfang Juni diejenige Plenarsitzung stattfinden soll, welche endgültig über den ganzen Komplex der noch ausstehenden Fragen über den Übergang des Komitees der jüdischen Delegationen zum Waad Haarazoth usw. Beschlüsse fassen soll.

In organisatorischer Richtung ist beschlossen worden, einige durchgreifende Reformen in der nächsten Zeit vorzunehmen.

Mit Rücksicht auf das Anwachsen der Arbeiten des Sekretariats, der Pressearbeit usw. wurde beschlossen, eine Verteilung der Arbeit in einzelne Ressorts durchzuführen. Als Objekte für diese Ressorts sollen folgende Gegenstände in Betracht kommen:

Pressearbeit, politisch-juristische Abteilung, Vorbereitung der Hilfskonferenz, Schaffung des Waad Haarazoth.

Das Komitee war aufs tiefste betrübt durch die beunruhigenden Botschaften aus Palästina. Auf Grund von zwei Telegrammen Ussischkins aus Jaffa wurde konstatiert, dass die Situation in dem von den Franzosen okkupierten Gebiet Palästinas, in Nordgaliläa, eine kritische ist. Mit um so größerer Zufriedenheit nahm die Beratung nochmals von den früheren Erklärungen Dr. Weizmanns Kenntnis, welche dieser noch vor dem Einlaufen der traurigen Nachrichten hinsichtlich seiner Reise nach Erez Israel zu Anfang der Beratungen abgegeben hatte. Seine damalige Erklärung, dass das Hauptziel seiner Reise die Regelung der arabisch-jüdischen Verhältnisse sei, und sein dazugegebener Kommentar, dass gerade in den jüngsten Tagen neue Perspektiven sich dafür eröffnet haben, waren für das Komitee nach den inzwischen eingelaufenen Nachrichten um so tröstlicher.

[Page]

Bl. 6

Aus den verschiedenen Mitteilungen des Sekretariats war vom Interesse die Mitteilung darüber, dass das Komitee demnächst neue Mandatare aus Südrussland (Wladimir TemkinDr. Schwarzmann, den Vorsitzenden der Odessaer jüdischen Gemeinde, und andere) die bereits in Konstantinopel angelangt sind, sowie andere Mandatare zu erwarten haben.

Schließlich gelangte zur Kenntnis des Komitees das interessante letzte Schreiben des tschechoslowakischen jüdischen Nationalrates. Darin wurde das Komitee informiert, dass dank den Verhandlungen, welche das Komitee der jüdischen Delegationen, sowie die speziell herübergekommene tschechoslowakische jüdische Delegation in Paris mit der Vertretung des tschechoslowakischen Staate vor der Friedenskonferenz im Herbst 1919 gepflogen hatte und dank den daran sich anschließenden Arbeiten in Paris und Prag die jüdische Nationalität als nationale Minderheit in der Tschechoslowakei anerkannt worden sei. Diese Anerkennung ist im Motivenbericht zu dem von dem Parlament genehmigten Gesetzentwurf der tschechoslowakischen Regierung mit Bezug auf die Minoritätsfragen enthalten. Das Komitee nahm diesen Bericht des jüdischen Nationalrates von Tschechoslowakien und seinen speziellen Dank an das Komitee mit der grössten Genugtuung entgegen.



Info:

Archivsignatur: Die momentan bevorstehenden Aktionen des Komitees der jüdischen Delegationen, Paris, 12. März 1920, Litauisches Staatsarchiv, LCVA_620_1_10.
Copyright: Verbreitung und Vervielfältigung nur zu wissenschaftlichen Zwecken.
Zitierweise: Bevorstehende Aktionen des Komitees der jüdischen Delegationen, Paris, 12. März 1920, in: Viadrina Center B/Orders in Motion (Hrsg.): "Grenzen, Kriege und Kongresse. Die Neuordnung Ostmitteleuropas aus dem Erbe der Imperien, 1917-1923" - Ausgewählte Projektquellen, bearb. von Thomas Rettig. URL: https://www.borders-in-motion.de/de/forschungsprojekte/dreijaehrig/0_grenzen_kriege_kongresse/projektquellen/aktionen-juedische-delegationen-paris-1920 (Zugriff am xx-xx-xxxx)